Kalligraphie und Informatik
Von Roland S. Süssmann
Wenige Bereiche haben eine so radikale Umwälzung erfahren wie diejenige, die das Gewerbe der Graphik, der Typographie und der Druckerei in den letzten Jahren erlebt hat. Seit dem Aufkommen der Informatik hat sich die Welt der graphischen Künste durch und durch verwandelt. Zahlreiche Fachleute haben noch vor zehn Jahren einen Beruf mit seinen Vorschriften und Regeln erlernt und mussten sich seither völlig umstellen. Fort mit dem Bleisatz und den veralteten Druckmaschinen, wir heissen die Computergraphik willkommen ! Wir möchten diesen Artikel einem der wichtigsten Aspekte des jüdischen Verlagswesens widmen, der hebräischen Typographie. In Jerusalem haben wir SCHMUEL GUTTMANN getroffen, den Erfinder der meisten gegenwärtig verwendeten hebräischen Schriftarten, aber auch den Mann, der das gesamte Programm für hebräische Buchstaben der Gesellschaft Microsoft ausgearbeitet hat.
Schmuel Guttmann wurde in Reca in der Tschechoslowakei geboren und studierte Graphik am Institut der Schönen Künste in Budapest. Während des Zweiten Weltkriegs überlebte er im Untergrund, indem er sein Wissen und sein Talent bei der Herstellung von falschen Papieren für die ungarische Widerstandsbewegung einsetzte. 1945 liess er sich in Palästina nieder, wurde von den Briten aber nach Zypern deportiert, wo er dann heiratete. Nach der Gründung des jüdischen Staates kehrte er nach Israel zurück, verbrachte einige Zeit in einem Moschav (landwirtschaftliches Dorf) und liess sich schliesslich in Jerusalem nieder, wo er als "kommerzieller Künstler" vom Jüdischen Nationalfonds (Keren Kayemeth Le-Israel) in der Abteilung eingestellt wurde, die sich mit den Publikationen des KKL befasste. Eins ergab sich aus dem anderen, und im Verlauf seiner Karriere befasste sich Schmuel Guttmann immer intensiver mit der Ausarbeitung des hebräischen Buchstabens. Er arbeitete zunächst mit einem Unternehmen, das in Jerusalem Bleibuchstaben herstellte, und wurde dann Angestellter der grossen Tageszeitung Haaretz. Sobald die ersten Computer auftauchten, wurde sich Schmuel Guttmann der ungeheuren Möglichkeiten bewusst, die dieses neue Werkzeug für die Entwicklung der Druckerei im allgemeinen und für die Verbreitung des hebräischen Buchstabens bot. Er war der erste, der sich in Israel einen Photon Computer (die amerikanische Version des französischen Lumitype) kaufte, dank dem er die Buchstaben nach seinem Geschmack, seinem Talent und seiner Phantasie bearbeiten konnte. Nachdem sie seine besondere Begabung auf diesem Gebiet erkannt hatte, schlug ihm die Direktion der Zeitung Haaretz 1969 vor, in die USA zu der Gesellschaft Autologic zu reisen, um eine Reihe von hebräischen Buchstaben zu entwickeln, die typisch für seine Zeitung wären und sie von ihren Konkurrenten unterschiede.


Welches war der allererste von Ihnen erarbeitete Buchstabe ?

Zu Beginn der 50er Jahre, als ich beim KKL angestellt war, begegnete ich einem jungen Schweizer namens Theo Zvi Hausmann, der mir einige seiner Zeichnungen für hebräische Kalligraphie zeigte. Leider erkrankte er und starb sehr kurz darauf. Einige Zeit später wurde auf Anfrage der Herren Dr. Moshe Spitzer und Van Kleef beschlossen, in Erinnerung an ihn zwei Buchstaben zu schaffen. Ich wurde zur Gesellschaft "Othioth Jeruschalaim", einem Hersteller von Bleibuchstaben für Druckereien, geschickt, und im Andenken an Zvi Hausmann nannten wir diese Lettern "Tzevia", nach dem Vornamen seiner Tochter, die nach seinem Tod geboren worden war. Es handelte sich um zwei sehr grosse Buchstaben, die zum Druck der Schlagzeilen in den Tageszeitungen dienten.


Wie sind Sie zu "dem" Spezialisten für hebräische Schriftzeichen geworden ?

Während meiner Tätigkeit bei Autologic in Kalifornien habe ich 16 neue digitalisierte hebräische Buchstaben geschaffen, was an und für sich schon ganz neu war. Zum allerersten Mal gab es nun ein Programm, mit dem man hebräische Buchstaben in verschiedenen Grössen, von 4 bis 200 Punkten, schreiben konnte. Das Unternehmen Autologic hatte eine Lichtsetzmaschine namens "Micro 5" hergestellt, die damals zu den modernsten Instrumenten dieser Art zählte. In jener Zeit war die Computertypographie nur für die grossen Tageszeitungen und einige bedeutende Druckereien erschwinglich: Haaretz wurde als erste israelische Zeitung mit diesem System ausgerüstet. Gleichzeitig hatte die Gesellschaft Bedford mit Sitz in New Hampshire die erste computerisierte Lichtsetzmaschine mit Bildschirm erfunden, der schon fast der Forderung WYSIWYG entsprach ("What you see is what you get"). Es handelte sich um einen recht flexiblen Mechanismus, dank dem ich zusammen mit einem ganzen Team eine Reihe von Buchstaben entwickeln konnte.


Wie schrieben Sie damals von rechts nach links, da doch alle Programme ausschliesslich für lateinische Buchstaben entwickelt worden waren ?

Autologic hatte ein Programm namens "Micro-set" erfunden, das nicht von rechts nach links funktionierte, das ich aber mit einem System von spiegelverkehrten Buchstaben anpassen konnte, so dass hebräische Lettern reproduzierbar wurden. Kurze Zeit später bin ich Daniel Weissmann begegnet, einem amerikanischen Mathematiker, der ein sehr flexibles und geniales System des hebräischen Satzes entwickelt hatte, das den Namen TAG trug. Dieses Programm ist sehr reichhaltig und vollständig und ermöglicht es, automatisch von rechts nach links zu schreiben, die Wörter auszurichten, nicht nur die hebräischen Satzzeichen zu integrieren, sondern auch alle "Taame Micra" (die Noten für die melodische Lesung der Torah). Dieses Programm wird heute vor allem für den Druck von religiösen Büchern verwendet, die mit verschiedenen Kommentaren ergänzt wurden. Die Darstellung dieser Art von Büchern ist besonders kompliziert, doch TAG erleichtert die Arbeit unwahrscheinlich. Das Programm ist sehr leistungsfähig, es macht es beispielsweise möglich, alle Schriftarten eines Buches mit einem einzigen Mausklick zu verändern; die Darstellung, die Silbentrennung, der Seitenumbruch usw. werden automatisch angepasst. Natürlich funktioniert TAG sowohl auf Hebräisch als auch in lateinischer oder kyrillischer Schrift.


Wie ist Ihr Arbeitsverhältnis zu Microsoft entstanden ?

Gegen Ende der 80er Jahre nahm Arie Skop, der damalige Direktor von Microsoft in Israel, mit mir Kontakt auf. Wir haben ein System der Zusammenarbeit entwickelt, und bis heute habe ich für Microsoft 160 verschiedene hebräische Schriftarten ausgearbeitet, von denen mehrere nach mir benannt sind. Dadurch, dass ich für Microsoft arbeite, sind meine Buchstaben nicht geschützt, so dass sie oft kopiert werden. Meine Schriftarten sind übrigens in der nächsten "Bibel" für Schriftarten, "International Typefonderies" (ITF), aufgeführt, die zum allerersten Mal hebräische Lettern in ihrem Katalog veröffentlichen wird.


Wenn Microsoft Ihnen vorgeschlagen hat und Sie weiterhin damit beauftragt, neue hebräische Schriftarten zu entwickeln, besteht offensichtlich eine Nachfrage für dieses Produkt. Welche Gründe können Sie nennen ?

Wie erleben gegenwärtig eine immer wichtigere Entwicklung des hebräischen Verlagswesens. Jeder Herausgeber möchte sich besonders hervortun und zeigen, dass seine Druckkunst und seine Art der Textreproduktion besser sind als bei seinem Konkurrenten und sie übertreffen. Meine Schriftzeichen sind sowohl streng als auch harmonisch und ermöglichen jedem Druckerzeugnis, seinen eigenen Charakter zu behalten.


Die Geschichte der hebräischen Druckkunst ist sehr reich, der Buchstabe hat sich eigentlich erst mit dem Aufkommen der Informatik richtig entwickelt. Wie erklären Sie dieses Phänomen ?

Man muss sich daran erinnern, dass der Beruf des Druckers bei der Erfindung dieser Technik, die in Deutschland damals "Die Schwarze Kunst" genannt wurde, nur den Mitgliedern einer Zunft vorbehalten war, zu der die Juden keinen Zutritt hatten. Die ersten hebräischen Druckerzeugnisse wurden 1475 in Italien, in Kalabrien, hergestellt. Die unterschiedlichen Arten der hebräischen Buchstaben wurden von den Bleigiessern erfunden, einige Lettern trugen gar den Namen der Giessereien. Die Anzahl Buchstaben konnten an beiden Händen abgezählt werden. Vor der Existenz der Computer hätte sich niemand je träumen lassen, dass es eines Tages eine derartige Vielzahl von hebräischen Buchstaben geben würde, die mit den technischen Mitteln von damals überhaupt nicht hergestellt werden konnte. Die erste Etappe war der Übergang vom Blei zum Film, was man die Monotype nannte, wobei die Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Schrifttypen recht beschränkt waren. Die Evolution des hebräischen Buchstabens erfolgte in zwei Etappen: die Monotype und dann der grosse Durchbruch dank der Informatik. Ich möchte abschliessend sagen, dass man zum Erfassen, wie vielfältig die Auswahl hebräischer Schriftarten ist, zunächst wissen muss, dass es für lateinische Buchstaben ca. 2200 Schriftarten gibt, für hebräische Zeichen hingegen 160, was verhältnismässig viel ist.