Das Gesetz ist wichtiger als Gesten
Von Roland S. Süssmann
Krise - Verhandlungen - öffentliche Erklärungen - erneute Verhandlungen hinter den Kulissen - Beruhigung der Lage - symbolische Gesten - Lob. In diesen wenigen Worten lässt sich heute die Situation zusammenfassen, die man die "Fonds-Front" nennt. Im Grunde bleibt das Problem weiterhin bestehen, trotz des Fonds, der von den Schweizer Banken geschaffen wurde und die skandalöse Bezeichnung "humanitärer Fonds" trägt - welcher Name für die Rückzahlung von Guthaben, die ihnen anvertraut worden waren ! - und trotz der Solidaritätsstiftung, welche der eidgenössische Bundespräsident vorschlägt und deren Mittel nicht eigentlich für die Opfer der Schoah bestimmt sind. Im praktischen und konkreten Sinn kreisste dieser Berg von Polemiken und gebar letztendlich nur eine winzige Maus.
Parallel dazu haben der Rechtsberater des Simon Wiesenthal Centers, Martin Mendelsohn, und der bekannte Washingtoner Anwalt Michael Hausfeld im Namen der Schoah-Opfer und ihrer Erben eine kollektive Rechtsklage gegen die Schweizer Banken eingereicht. Diese im Namen der Kläger in New York, Kalifornien, Grossbritannien und Kanada erhobene Klage versucht von den amerikanischen Gerichten die Anordnung zu erwirken, welche die Banken zwingt, über die verschwundenen Vermögen Bericht zu erstatten.
Martin Mendelsohn hat uns dieses bisher recht unbeachtet gebliebene Unterfangen anlässlich eines Arbeitsessens in New York erklärt.


Der Jüdische Weltkongress und die Jewish Agency führen bedeutende Verhandlungen durch. Woraus besteht Ihr Vorgehen und inwiefern unterscheidet es sich von den anderen Aktionen ?

Im Oktober des vergangenen Jahres haben wir eine Klage gegen die Schweizerische Bankgesellschaft, den Schweizerischen Bankverein und die Kreditanstalt eingereicht, denn unsere Untersuchung hatte ergeben, dass die umfangreichsten Vermögen, die meisten Schmuckstücke, Gemälde usw. von Juden, die sich auf der Flucht vor den Nazis befanden, auf den Konten und in den Tresoren dieser Banken hinterlegt worden waren. Unsere Klage bezieht sich ebenfalls auf das Nazigold, denn die Banken besassen die grössten, von Nazis eingezahlten und nach dem Krieg von ihnen wieder abgehobenen Guthaben. Unsere Nachforschungen haben auch ergeben, dass diese Banken sich nach dem Krieg weigerten, den Anfragen von Überlebenden Folge zu leisten und bedeutende Geldsummen behielten, obwohl sie zugaben, dass sie ihnen 1946 und 1947 nicht gehörten. Gleichzeitig mit dem Eingeständnis, dass diese Beträge nicht Eigentum der Bank sind, bewahren sie sie angeblich auf, bis die wirklichen Berechtigten sich melden oder aufgefunden werden. Wir gehen aber davon aus, dass diese Einstellung sowohl rechtlich als auch moralisch falsch ist, und haben daher beschlossen, die Sache vor den amerikanischen Gerichten anhängig zu machen. Wir sind der Ansicht, dass eine vom Gerichtshof eines amerikanischen Bundestaates ausgesprochene Anordnung für die Opfer das geeignetste Mittel darstellt, ihr Recht geltend zu machen. Die an dieser Affaire beteiligten Anwälte sind von der Begründetheit ihrer Forderungen derart überzeugt, dass sie ihre Dienste völlig kostenlos zur Verfügung stellen. Ich gebe zu, dass diese Klage sich als sehr viel bedeutender erweist, als wir zu Beginn annahmen. Heute wenden sich zahlreiche Menschen an uns und stellen Anfragen. Wenn wir mit den Banken eine Einigung erzielen, soll das Bundesgericht die Verteilung und Zuweisung der Gelder beaufsichtigen. Unserer Ansicht nach wäre es sehr gut, wenn dies einem völlig unparteiischen und objektiven Beobachter übertragen würde.


Könnten Sie uns noch mehr Einzelheiten zur Klage geben, die Sie eingereicht haben ?

Zu diesem Zeitpunkt verlangen wir keine spezifische Summe. Wir möchten nur, dass die Dossiers zugänglich gemacht werden und dass eine Untersuchung durchgeführt wird, damit der Betrag, der den verschiedenen Klägern und Überlebenden zusteht, auf unparteiische Weise festgelegt werden kann. Ausserdem wissen wir, dass bestimmte Personen Geld auf Schweizer Banken hinterlegt hatten, und wir haben verlangt, dass diese Guthaben mit Zinsen zurückgezahlt werden. Unsere grundlegende Forderung beschränkt sich aber darauf, dass gemäss dem amerikanischen Gesetz über das Rechnungswesen in allen Banken eine umfassende Rechnungsprüfung aller Dossiers durchgeführt wird, um genau festzuhalten, wieviel Geld eingezahlt oder ausgezahlt wurde, und vor allem, wieviel sich noch im Besitz der Banken befindet.


Die Banken haben jedoch mit der Gründung des Fonds von hundert Millionen Schweizer Franken, genannt "humanitärer Fonds", bereits eine Geste getan. Wie integrieren Sie dieses Element in Ihr Vorgehen ?

Es handelt sich um ein politisches Manöver, um die Aufmerksamkeit von unserer Klage abzulenken. Wir können natürlich jede "humanitäre" Geste der Schweiz nur gutheissen, obwohl wir im vorliegenden Fall die Bezeichnung, die doch schockierend ist, ablehnen. Wenn aber jemand denkt, dies würde uns zum Rückzug unserer Klage veranlassen, befindet er sich im Irrtum. Weder der von den Banken geschaffene Fonds noch die vom Bundespräsidenten vorgeschlagene Solidaritätsstiftung besitzen grosse Bedeutung, da sie auf die grundlegende Frage keine Antwort geben : wieviel Geld wurde eingezahlt und wieviel befindet sich noch im Besitz der Banken ? Ich weiss, dass die Kommissionen Volker und Bergier die Arbeit aufgenommen haben. Ich habe Herrn Volker getroffen, dem ich deutlich auseinandersetzte, dass das Mandat seiner Kommission viel zu eng gefasst und dass sie vor allem nicht in der Lage sei, auf die wichtigsten Fragen zu antworten, die Wurzeln der gesamten Polemik. Wir haben ihn gebeten, die Kompetenzen seines Auftrags auszudehnen, er hat uns versprochen, sich damit auseinanderzusetzen, doch seither haben wir nichts mehr von ihm gehört. Es steht fest, dass die Kommission Volker nicht alle Aspekte der Frage abdeckt, die wir ausleuchten wollen. Möglicherweise wird dies die Kommission Bergier tun, doch gegenwärtig ist das noch ungewiss.


Wie weit ist Ihre Arbeit heute gediehen ?

Es sind intensive Verhandlungen im Gange und es ist möglich, dass wir mit den Banken eine Vereinbarung treffen können. Dies umfasst für uns die vollständige Offenlegung der Dossiers, alles andere wäre inakzeptabel.


Nehmen wir an, Sie erreichen keine Einigung und das von Ihnen angerufene Oberste Bundesgericht entscheidet in Ihrem Sinne; sind die schweizerischen Banken in der Schweiz tatsächlich verpflichtet, sich diesem Entscheid zu unterwerfen ?

Ich denke schon, denn man darf nicht vergessen, dass die drei Schweizer Grossbanken auf ihre Präsenz in den USA angewiesen sind. Wollen sie ihre Geschäfte hier weiterführen, müssen sie sich den Anordnungen des Gerichtshofes unterwerfen. Dazu muss ich auch unsere vor kurzem gemachte Entdeckung betonen, dass diese drei Banken damals Niederlassungen in den Vereinigten Staaten eröffnet hatten, um Nazigelder entgegennehmen zu können, die Kreditanstalt im Jahre 1939, die SBG 1938 oder 1939 und der SBV 1940. Keine von ihnen besass vor der Machtergreifung der Nazis Zweigstellen in den USA.


Das Simon Wiesethal Center hat vor kurzem eine Liste mit 1400 Namen von Personen veröffentlicht, die Guthaben in den Schweizer Banken besitzen sollen; dies beweist, dass man die gesuchte Information am richtigen Ort schon finden kann. Wie steht es gegenwärtig um diese Liste ?

Die Publikation dieser Liste war vielen Leuten in der Schweiz sehr unangenehm. Viel Material, das jahrzehntelang unzugänglich war, wird heute von den amerikanischen Nationalarchiven freigegeben. Es reicht, diese Dokumente zu studieren. Die Liste hat es uns bis heute ermöglicht, einige Nachkommen ausfindig zu machen, die mit uns Kontakt aufnahmen und für die wir die notwendigen Schritte einleiten.


Schliessen Sie in Ihre gerichtliche Klage auch die Vermögen ein, die sich im persönlichen Besitz von Nazis oder ihren Erben befinden ?

Selbstverständlich, denn wir können sie unter dem amerikanischen Gesetz der illegalen Bereicherung verklagen. Insofern wir Beweise vorbringen können, sollen diese Gelder zurückgezahlt werden. Wir möchten auch die schweizerischen Banken ausfindig machen, die Konten von allgemein bekannten Nazis hatten. Dieses Geld soll gemäss dem Entscheid des Gerichtshofes an die Juden zurückgezahlt und verteilt werden. Wie auch bei der übrigen Aufteilung des Fonds ist es unser Wunsch, dass diese Gelder in erster Linie den Individuen und nicht Organisationen zugute kommen.


Glauben Sie, dass Ihr Handeln durch die verschiedenen Gesten, mit denen die Schweiz ihren guten Willen beweist, erschwert wird ?

Bestimmt, doch verwechseln wir nicht Politik und Gesetz ! Die Politik der schweizerischen Gesten wird den Eidgenossen einen Sieg im Public Relations-Kampf sichern, doch sicher nicht denjenigen in der rechtlichen Auseinandersetzung mit einem amerikanischen Bundesgericht. Dank meinen Kontakten kann ich Ihnen versichern, dass sich die betroffenen schweizerischen Behörden dessen voll bewusst sind. Abschliessend möchte ich sagen, dass man sich im klaren sein muss, dass unsere Klage sich nicht mit der Frage des Geldes befasst, sondern mit der geschichtlichen Wahrheit. Uns ist es wichtiger, dass die Dossiers zugänglich gemacht werden, dass das Geld gefunden wird, obwohl diese Gelder gerecht verteilt werden müssen, jedoch erst nach der vollständigen Offenlegung der Dokumente. Dies ist die einzige Möglichkeit, den Opfern ein kleines Stück Gerechtigkeit zu erweisen.