Kraft und Leistung
Von Roland S. Süssmann
Seit einigen Jahren hat sich ein bedeutender Wandel im Fundament der israelischen Armee vollzogen. Immer mehr gläubige junge Leute treten nämlich in die Elite-Kampftruppen, in die Luftwaffe und die Marine ein und ersetzen auf diese Weise allmählich die aus den Kibbuzim stammenden Freiwilligen. Die Zahlen zeigen, dass ungefähr ein Drittel der Absolventen, welche einen Offizierslehrgang der Armee abschliessen, gläubige Juden sind; zwei Drittel der Elite-Einheiten der berühmten Golani-Brigade sind religiös. Die besten Ergebnisse an den Abschlussprüfungen der Infanterieoffizierslehrgänge der vergangenen drei Jahre wurden von Juden strenger Observanz erzielt. Wie und weshalb kam es zu dieser Entwicklung, wenn nicht gar "Revolution" ?

Dieses neue, sich in der israelischen Gesellschaft durchsetzende Phänomen, das sich zweifellos mittelfristig auf die Diaspora auswirken wird, resultiert aus der Hellsichtigkeit und Entschlossenheit des Rabbiners ELI SADAN, der vor acht Jahren die Jeschiwa Bnei David gründete. Die Jeschiwa liegt in Eli auf einem wilden Hügel mitten in Samaria.

Erinnern wir daran, dass die israelische Armee seit der Schaffung des Staates und bis vor kurzem das "Revier" der Kibbuzbewegung war. Die gläubigen Juden besassen keinerlei Einfluss auf die bedeutenden Institutionen des Landes. Wenn sich jemand in Israel erfolgreich durchsetzen wollte, gab es für ihn bisher nur eine mögliche Laufbahn: er musste aus einem Kibbuz stammen - einer Elite-Einheit der Armee angehören - zum Rang eines Generals oder gar Generalstabschefs ernannt werden, und nach der Pensionierung aus der Armee eine bedeutende Regierungsstelle leiten, bevor er dann eine politische Karriere, oft auf höchstem Niveau, einschlägt. Die Gemeinschaft der gläubigen Juden war bis auf wenige Ausnahmen vollständig aus diesem Kreislauf ausgeschlossen. Vor ca. acht Jahren kam Rabbiner Eli Sadan im Bewusstsein um diese Tatsache und nach Untersuchungen und Überlegungen zum Schluss, die israelische Armee nähere sich immer mehr ihrem Zusammenbruch. Die Ideale der Kibbuzbewegung neigten sich dem Ende zu, doch sie verkörperten die wichtigste Grundlage für die gesamte Motivation der Offiziersgruppe. Wenn es die Gemeinschaft der streng gläubigen Juden in Israel nicht auf sich nähme, diesen ehemaligen Kibbuz-Idealismus durch ihre religiösen Werte zu ersetzen, stünde Israel auf die Dauer ohne Armee da. Wie käme beispielsweise ein junger, normal gebauter Mann dazu, zwanzig Jahre seines Lebens für die Berufsarmee zu opfern, wenn er nicht über sehr gute Motive verfügt ? Vor der Aktion von Rabbiner Eli Sadan entwickelte sich die religiöse Gemeinschaft in einer angenehmen Lebensanschauung, die sich hauptsächlich mit sich selbst befasste und sich am Rande der israelischen Gesellschaft befand. In Israel gab es noch nie einen Premierminister, Verteidigungs- oder Aussenminister, der religiöser und gläubiger Jude war. Dies gilt auch für die Generaldirektion der grossen Banken oder der bedeutenden Unternehmen. Die Gesellschaft der Gläubigen des Landes war sozusagen von jeder Entscheidungsgewalt ausgeschlossen.

Parallel dazu wurde Rabbiner Eli Sadan sich der Tatsache bewusst, dass in den Jeschiwot ganze Generationen von Studenten ausgebildet wurden, die lernten, der jüdische Staat sei eines der wichtigsten Dinge überhaupt und es sei für das Wohl dieses Staates von äusserster Wichtigkeit, als gläubiger Jude zu leben. Diese Form der Erziehung war bei weitem unzureichend, um Männer auszubilden, die in der israelischen Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielen oder wenigstens einigen Einfluss ausüben konnten. Die in diesen Jeschiwot ausgebildeten Studenten waren in der Regel brave Staatsbürger, die sich ihren Lebensunterhalt verdienten, während um sie herum das ideologische Fundament Israels zerbröckelte. Die Überlegungen von Rabbiner Sadan stiessen natürlich nicht überall auf Wohlwollen. Durch die Veröffentlichung seiner Ideen und durch seinen Einsatz zur Behebung dieser Situation griff er heimlich die Bewegung der Jeschiwot Hesder an, deren Programm jungen Gläubigen anbot, anderthalb Jahre Armeedienst zu leisten, gefolgt von einem dreieinhalbjährigen Talmudstudium. Mit einer derart eingeschränkten militärischen Erfahrung konnten diese Stundenten der Jeschiwot Hesder natürlich keinen gewichtigen Einfluss ausüben oder sogar den Eintritt in den Generalstab der israelischen Armee ins Auge fassen !

Infolge dieser Überlegungen beschloss Rabbiner Eli Sadan, ein Alternativprogramm zu demjenigen der Jeschiwot Hesder anzubieten; es sollte den ehrgeizigsten Studenten offenstehen, die später eine bedeutende Rolle spielen und über Einfluss verfügen wollten und davon träumten, eines Tages Generalstabschef zu werden. Ein oder zwei Jahre vor dem Eintritt in die Armee erhielten die Schüler der Jeschiwa Bnei David des Rabbiners Sadan auf jüdischer Philosophie beruhenden Unterricht über die Bedeutung, Jude zu sein und einen jüdischen Staat zu haben, weshalb eine jüdische Armee notwendig ist, über die Halacha auf dem Schlachtfeld usw. Nach Abschluss des ersten Lehrgangs wurden fünf Studenten in die härteste und effizienteste Kommandoeinheit der israelischen Armee, "Sayereth Mat Kal" aufgenommen, die zu diesem Zeitpunkt zwanzig neue Rekruten integrierte. Das Gewicht dieser "Revolution" muss man sich vor Augen führen, denn die jungen gläubigen Juden, die zu den besten Elementen des Landes gehören und der Nation dort dienen wollen, wo ihre Fähigkeiten am nützlichsten sind, besitzen heute die Möglichkeit, in die höchsten Ränge vorzudringen, ohne ihre Überzeugungen oder ihre Religion zu verleugnen. Heute verpflichten sich über die Hälfte der Studenten der Jeschiwa Bnei David als Berufssoldaten in der Armee. Darüber hinaus bestehen fast 40% des Offizierskorps aus praktizierenden Juden. Für sie verkörpert die Armee kein "notwendiges Übel" mehr, sondern eine prestigereiche, ehrenvolle Aufgabe.


Obwohl die Armee ein wenig als das "Revier" der Kibuzzim galt, waren die Elitetruppen den gläubigen Soldaten nicht wirklich verschlossen. Wie erklären Sie sich, dass heute gläubige Juden nur dank Ihnen in allen Armeekorps und insbesondere in der Elite vertreten sind ?

Man muss sich im klaren sein, dass es für einen jungen gläubigen Juden nicht einfach war in einer Kompanie zu leben, die sich hauptsächlich aus jungen Leuten der nicht- oder gar antireligiösen Schichten zusammensetzte. Im Verlauf des dreijährigen Militärdienstes müssen sie im Alltag eine sehr enge Beziehung ausprobieren und sowohl das Zelt als auch die Gefahren teilen. Die meisten gläubigen Soldaten, die in gewöhnlichen Armee- oder Truppeneinheiten dienten, gaben die Ausübung der Religion sehr rasch auf. Aus diesem Grund drängten die religiösen Familien ihre Söhne eher in die etwas "peripheren" Armeetruppen, wie beispielsweise die Panzerfahrer der Jeschiwot Hesder, das Rabbinat usw. In diesem Fall wurden sie in Einheiten integriert, in denen ihre Überzeugungen und religiösen Regeln geschützt wurden.

Irgendwann stand ich einer zwiefachen Forderung gegenüber: derjenigen der Armee und auch meines Freundes, des Rabbiners und Karriereoffiziers Yigal Levenstein, der mich etwas zu unternehmen bat, um die jungen gläubigen Juden zu motivieren und dadurch zu einer gewichtigeren Aufgabe innerhalb der Armee zu bewegen; und derjenigen zahlreicher religiöser Juden, die mich baten alles zu unternehmen, damit sie in die Elitetruppen aufgenommen würden und ihrem Land auf höchster Ebene dienen könnten. Ich habe also beschlossen, eine Generation junger gläubiger Juden heranzuziehen, deren Überzeugungen, vor allem aber deren jüdisches Wissen, tief genug verwurzelt waren, um in einer Kompanie nichtreligiöser Juden leben zu können, ohne sich in ihrer religiösen Intimität angegriffen zu fühlen. Wir bereiteten unsere Schüler darauf vor, die Probleme ruhig und entschlossen anzugehen, mit denen gläubige Rekruten in der israelischen Armee konfrontiert werden. Ich will aber auch, dass sie aufgrund ihres fundierten Wissens mit ihren Armeekameraden diskutieren können; sie sollen ein sehr breites Allgemeinwissen und grosse Weltoffenheit und dabei trotzdem solide Grundlagen des jüdischen Wissens besitzen.


Wie ?

Raw Yigal Levenstein und ich haben beschlossen eine Jeschiwa ins Leben zu rufen, die sich von den in Israel bereits bestehenden völlig unterscheidet. Im allgemeinen wird der Tag in den Jeschiwot in drei Sessionen des Talmudstudiums eingeteilt. Bei uns gibt es pro Tag nur eine Session für talmudische Studien, die zwei anderen sind der Verbesserung allgemeiner jüdischer Kenntnisse gewidmet: der Geschichte, dem vertieften Wissen über Eretz Israel (sowohl in bezug auf das Territorium, als auch in bezug auf die Menschen, die unsere Gesellschaft bilden), der Intensivierung des Glaubens durch die Erkenntnis, die Philosophie usw., das alles im wesentlichen auf den Lehren des verstorbenen Raw Kook (siehe SHALOM Vol.XVI) beruhend. Ferner laden wir einmal in der Woche Redner aus allen Schichten der israelischen Gesellschaft ein, damit sie ein besonderes Thema vorstellen und diskutieren können. Wir wollen, dass unsere Schüler die Denkweise der weltlichen Gesellschaft gut kennen und verstehen.

Unser Ziel ist es, ein Vakuum zu füllen, das zwischen der religiösen und nicht-religiösen Gesellschaft in Israel entstanden ist. Für die Nichtgläubigen dürfen Staat, Militär, Kunst, Geschäft usw. in keinster Weise mit der religiösen Frage verbunden sein, welche sich ihrerseits auf den Rahmen der Synagogen und der Jeschiwot beschränken soll. Die Gemeinschaft der Gläubigen in der Gesellschaft meint ihrerseits, der andere Teil der israelischen Gesellschaft sei irgendwie "verloren", da er völlig entjudaisiert ist. Im Rahmen des Militärs haben wir es geschafft, eine Art Brücke aufzubauen, die es den beiden Gemeinschaften erlaubt, einander furchtlos zu treffen, da es für uns keinen Widerspruch zwischen unserer Religion, der Torah und einer aktiven Präsenz in allen Lebensbereichen gibt. Ferner besuchen unsere Schüler dreimal in der Woche ein qualitativ hohes Sporttraining und wir veranstalten regelmässig Orientierungsmärsche, an denen sie sich zu Fuss und ohne Landkarte bewegen müssen. Wir betonen auch die Tatsache, dass sie lernen Entscheidungen zu treffen, und ausser einer Berufsköchin und einem Sekretariat, werden sämtliche Verantwortungen in der Jeschiwa ihnen überlassen.


Sind Ihrer Meinung nach die jungen Leute, die Ihre Jeschiwa verlassen und in die Armee eintreten, in ihrer Überzeugung ausreichend abgehärtet, um dem sozialen Druck einer Gesellschaft nicht-religiöser Soldaten standzuhalten?

Wie die Erfahrung gezeigt hat, lautet die Antwort auf Ihre Frage: Ja. Wir bringen ihnen bei, ruhig und logisch zu antworten. Nun sind sie nicht völlig sich selbst überlassen, wenn sie die Jeschiwa verlassen, da wir über eine besondere Telefonleitung verfügen, die ausschliesslich dem Empfang von Anrufen ehemaliger Schüler mit Fragen zur Halacha oder mit anderen Problemen dient.


Ihre Tätigkeit scheint offensichtlich von Erfolg gekrönt zu sein, aber die Anzahl Studienplätze sieht ziemlich begrenzt aus. Nach welchen Kriterien nehmen Sie Ihre Schüler auf ?

Es ist nicht einfach, bei uns aufgenommen zu werden. Jedes Dossier wird sorgfältig geprüft, die Persönlichkeit und das Potential der sich bewerbenden Person bilden jedoch das entscheidende Element. Als unser Konzept völlig neu war, haben wir das erste Jahr 150 Einschreibungsgesuche erhalten und davon 70 angenommen. Nun erhalten wir 4,5 Anfragen für einen Platz. Zum Glück haben mehrere Jeschiwot im ganzen Lande die Art von Ausbildung und Erziehung übernommen, die wir eingeführt haben und jede Einrichtung vermittelt diese Kenntnisse gemäss ihren spezifischen Eigenheiten. Heute werden mehrere hundert Schüler nach unserem Modell ausgebildet. Wir haben ebenfalls Mädchenschulen im ganzen Land eröffnet.

Man muss verstehen, dass alle Schüler, die uns verlassen, in eine Spezialeinheit aufgenommen zu werden versuchen, sei es nun in die Kommandos, bei den Fallschirmjägern (30%-40% der Fallschirmjägereinheiten bestehen aus gläubigen Soldaten), der Luftwaffe oder der Marine.


Was sind ihre Zukunftsprojekte ?

Langfristig beschränkt sich unsere Aktion nicht ausschliesslich auf die Vorbereitung von qualitativ hochstehenden Elementen aus den religiösen Schichten für die Armee. Ich stehe in Verbindung mit der Leitung der landesweiten Kibbuzbewegung, die mit uns zusammenarbeiten möchte. Ich hoffe, dass wir eine Rahmenausbildung für ein nicht-religiöses Publikum festlegen können, die Grundkenntnisse über den Judaismus erwerben möchte. Ferner möchte ich ein Studienzentrum im Rahmen der Universität für diejenigen Studenten gründen, die das Militär verlassen. Der Unterricht stünde dort in direktem Bezug zu den unternommenen Studien; einem Studenten der Politikwissenschaften werden wir z.B. erklären, was der Judaismus über die richtige Führung eines Landes aussagt, usw. Dies hat nichts mit dem Zwang zur Religionsausübung zu tun. Über das Militär hinaus müssen wir jedoch an der Bildung einer Gesellschaft teilnehmen, deren Verhalten durch die Torah und die grundlegenden ethischen, moralischen und geistigen Werte des Judaismus vorgeschrieben wird. Unser Ziel ist es, am Aufbau einer israelischen Gesellschaft teilzunehmen, die in der Lage wäre, sich in Anlehnung an die authentischen jüdischen philosophischen Werte zu entwickeln.