Frühe Synagogen | |
Von Jennifer Breger | |
In einer spannenden Ausstellung im Yeshiva University Museum in New York wird unter dem Titel "Sacred Realm: The Emergence of the Synagogue in the Ancient World" (Welt des Heiligtums: Das Aufkommen der Synagoge in der Antike) die Kontinuität der Synagoge als Institution gezeigt, noch vor der Zerstörung des zweiten Tempels in Jerusalem. Man erfährt von der Entwicklung und der Vielfalt der Synagogen im Land Israel und in der Diaspora vom dritten Jahrhundert v.Chr. bis 700 n.Chr.
In der Regel sehen wir in der Synagoge die Antwort auf die Zerstörung des Tempels um 70 n.Chr. Doch Synagogen existierten bereits zur Zeit des zweiten Tempels. Sie entwickelten sich wahrscheinlich während der Zeit der Hasmonäer um ca. 150 v.Chr. als Orte, wo die heiligen Texte studiert wurden und wo die Gemeinde zusammenkam. Noch ältere Hinweise stammen aus dem 3.Jh. v.Chr.: auf ägyptischen Steinen mit griechischen Inschriften werden Gebetsorte erwähnt. Im 3.Jh.n.Chr. waren Rabbiner der Ansicht, es habe zur Zeit König Salomos schon Synagogen gegeben, doch dies beweist eigentlich nur, wie sehr sich die Institution der Synagoge bereits durchgesetzt hatte. Obwohl die Synagogen den Tempel als jüdisches G'tteshaus weder ersetzen oder gar mit ihm konkurrieren sollten, wurden sie nach der Zerstörung des Tempels zu einem Ersatz, als sich das Judentum von einer nationalen Religion auf der Grundlage von Pilgerfahrten und Opfern mit dem Zentrum in Jerusalem in einen Glauben verwandelte, der sich auf lokale Synagogen, auf Studium und Gebet stützte. Der Kurator der Ausstellung, Steven Fine, erklärt, wie die Synagoge immer mehr an Heiligkeit gewann, indem die Symbole des Tempels, wie z.B. die Menorah, Teil der Architektur und der Dekoration wurden, und indem das Gebet in der Synagoge sich gemäss dem Vorbild des G'ttesdienstes im Tempel entwickelte. Die bis zum 1. Dezember geöffnete Ausstellung ist äusserst umfassend und beschäftigt sich sowohl mit der Erforschung der Ursprünge und der Entwicklung der Synagoge, als auch mit der Geschichte der Ausgrabungen und Forschungsarbeiten betreffend die historischen Synagogen in Israel und in der Diaspora. Neue Fundorte und Ruinen werden beständig entdeckt und die Archäologen verbessern ihre Methoden immer mehr. Die Geschichte ist ausgesprochen spannend. Die meisten Entdeckungen beruhten auf reinem Zufall, wie beispielsweise die Synagoge in Na'aran bei Jericho, als ein den englischen Streitkräften unter Allenby zugedachtes Geschoss zu Boden ging und einen Mosaikboden freilegte. Auch die berühmte Beth-Alpha-Synagoge wurde zufällig gefunden, als man in den 20er Jahren einen Bewässerungskanal für eine nahe gelegene Siedlung grub. Dem Kurator der Ausstellung ist es gelungen, das archäologische Material mit literarischen Quellen, insbesondere mit rabbinischen Schriften, zu verbinden. Als Historiker war es Fine möglich, die historische Entwicklung der Synagoge in einem Kontext zu situieren. Es ist eine archäologische Ausstellung, die jedoch darüber hinausgeht. Sie umfasst Gegenstände und Manuskripte, die von zahlreichen Museen ausgeliehen wurden, darunter auch vom Vatikan, vom Louvre und vom Musée Royal de Mariement, zeigt aber auch Modelle, Faksimiles und Fotoreproduktionen. Ein von Oxford University Press herausgegebener Farbkatalog mit einer Reihe von akademischen Essays liefert die Dokumentation zur Ausstellung und dient als faszinierende Einführung in die Erforschung alter Synagogen. In Eretz Israel wurden die Überreste von über 100 Synagogen gefunden, und uns sind viele andere aus literarischen Quellen bekannt. Die meisten stammen aus dem 3. bis 8. Jahrhundert und belegen interessanterweise eine blühende jüdische Gemeinschaft, im Gegensatz zur herkömmlichen Annahme eines Niedergangs in dieser Region infolge der erfolglosen Aufstände gegen Rom und des Aufkommens des Christentums. In den Schriften von Josephus und Philo und teilweise in der rabbinischen Literatur und im Neuen Testament wird von Synagogen während der Zeit des zweiten Tempels berichtet. Von nur drei Synagogen dieser Epoche wurden konkrete Überreste in Israel entdeckt, in Jerusalem, in Gamla im Süden der Golanhöhen und in Massada. Die in Jerusalem gefundene Synagoge von Theodotos gilt als besonders bedeutungsvoll, da sehr viele mehr dieser Art in Jerusalem bestanden, wie wir heute wissen; sie wurden von Juden errichtet, die aus verschiedenen Ländern der Diaspora einreisten, um sich in der Stadt niederzulassen, und diese Synagogen für die Pilgerer aus ihrem Herkunftsland bauten. Von diesen Gebäuden liegen uns aber keinerlei materielle Beweise vor. (Im Jerusalemer Talmud werden 480 Synagogen in Jerusalem zur Zeit Vespasians erwähnt !) Ein Abschnitt aus der Tosefta Sukkah, in der die Zeremonie des Wasserziehens an Sukkot beschrieben wird, zeigt, wie die Synagogen parallel zum Tempel existierten. Dies sagte Rabbi Joschua ben Chananiah: "Während den Tagen, an denen das Fest des Wasserziehens stattfand, haben wir überhaupt nie geschlafen. Wir standen morgens zeitig auf für die tägliche Darbringung der Opfergabe. Danach gingen wir zur Synagoge, von dort aus zu den weiteren Opfern, danach wurde gegessen und getrunken,später gingen wir zum Studierhaus, nachher zum Tempel für das grosse Opfer bei Sonnenuntergang und dann feierten wir das Wasserziehen." (Tosefta Sukkah 4:5) Die Synagoge von Theodotos lag beim Südeingang des Tempels. Eine wunderschöne Inschrift beweist, dass die Geschichte der Synagoge mindestens drei Generationen zurückreicht und dass sie zu verschiedenen Zwecken verwendet wurde; sie lautet: "Theodotos, Sohn des Priesters Vettenos und Oberhaupt der Synagoge (Archisynagogos), Sohn eines Synagogenoberhaupts und Enkel eines Synagogenoberhaupts, baute die Synagoge, um das Lesen der Torah und das Studium der Gebote zu ermöglichen; sie diente aber auch als Herberge mit Zimmern und Wasservorrichtungen, um fremde Reisende aufzunehmen. Sie wurde von seinen Vorvätern, den Weisen und Simonides gegründet." Wir wissen durch Ruinen und aus rabbinischen oder christlichen Schriften, dass es ausserhalb von Eretz Israel über hundert Synagogen gab. Die fünfzehn bisher ausgegrabenen Stätten liegen überall in der Diaspora, darunter auch in Italien, Kleinasien, Nordafrika, Syrien, Jugoslawien, Griechenland, Spanien, Ägypten und im Gebiet des Schwarzen Meers. Die Juden organisierten das Gemeindeleben eindeutig um die Synagoge herum. Die Ausstellung zeigt einige dieser Synagogen unter verschiedenen Aspekten; zu ihnen gehört auch die herrliche Synagoge von Sardis in der heutigen Türkei, die grösste jemals entdeckte Synagoge, die von einer blühenden Gemeinschaft zeugt. Die Grösse der Synagoge von Sardis erinnert an die Beschreibung im Talmud der bedeutenden Synagoge von Alexandria, die angeblich so gross war, das der Chasan auf ein erhöhtes Podest steigen musste und der versammelten Gemeinde mit einem Schal zuwinkte damit diese zum richtigen Zeitpunkt "Amen" antworten konnte. Aus literarischen Quellen und aus Inschriften ist uns bekannt, dass in Rom zwischen dem 1. und 4. Jh. ungefähr zwölf Synagogen standen, die jedoch nie entdeckt wurden. 1963 wurde jedoch eine Synagoge in Ostia, dem ehemaligen Hafen Roms, zufällig beim Bau einer Schnellstrasse zum Flughafen gefunden. Diese Synagoge war ursprünglich im ersten Jahrhundert errichtet worden, erfuhr im vierten Jahrhundert jedoch einen Umbau. Es scheint, dass die meisten Synagogen in der Diaspora im 3. und 4. Jh. entstanden. Interessanterweise gleichen sie sich im allgemeinen aus architektonischer Sicht, obwohl sie geografisch weit entfernt voneinander liegen. Die spannendste Entdeckung einer frühen Synagoge gelang wohl der Yale University und der französischen Akademie für Inschriften im Jahr 1932 bei Dura-Europos in Syrien. Eine britische Armeepatrouille stiess anlässlich von Manövern während des 1. Weltkriegs zufällig auf die Ruinen der Stadt. Zahlreiche Fundstücke wurden für diese Ausstellung von Yale leihweise überlassen; auch ein vollständiges, massstabsgetreues Modell kann besichtigt werden. Eine gegen die Stadtmauer gebaute Synagoge wurde während des dritten Jahrhunderts aus einem Wohnhaus umgewandelt. Sie wurde zwischen 244 und 245 n.Chr. fertiggestellt, auch wenn Archäologen unter diesen Fundamenten Spuren einer noch älteren Synagoge fanden. Sie wurde im Jahr 256 zerstört, als die Stadtbewohner das Dach abnahmen und das Gebäude mit Sand füllten, um die Stadtmauer anlässlich einer feindlichen Belagerung zu verstärken. Dank dem Sand blieben die wunderschönen Wandmalereien auf allen vier Seiten erhalten. Wie durch ein Wunder haben 60% der Malereien überlebt - 28 Bilder mit der Illustrierung von 58 biblischen Szenen. Unter diesen Malereien sind sogar noch ältere Dekorationen erhalten geblieben, darunter zahlreiche geometrische Muster. Die Szenen aus der Bibel zeigen Episoden aus der Geschichte von Moses, Auszüge der Geschichte von Purim, Elias und die Propheten von Baal, Ezechiel und die Vision der trockenen Knochen und vieles mehr. Viele Bilder beschrieben Legenden des Midrasch, die nicht in der Bibel selbst aufgeführt sind. Die Decke der Synagoge war mit bemalten Ziegeln verziert. Sechs der gefundenen Inschriften wurden in Griechisch und Aramäisch verfasst. Die Entdeckung der Synagoge in Dura-Europos bewirkte eine Veränderung der Art und Weise, wie Gelehrte bestimmte Aspekte der jüdischen Kunst und das Verbot des zweiten Gebots beurteilten. Niemand hätte damals je geglaubt, dass es in frühen Synagogen Wandmalereien gab. Diese Malereien sind wahrscheinlich nicht die einzigen, auch wenn andere Synagogen mit ähnlichen Dekorationen nicht überlebt haben. Die Ausstellung der Jeschiwa zeugt vom Einfluss der aussenstehenden Gesellschaft auf die Synagogen und ihre Symbolik, da die Synagogen die Beziehungen zwischen den verschiedenen Kulturen der griechisch-römischen Welt widerspiegelten. Inschriften in Hebräisch, Aramäisch und Griechisch, die auf demselben Kunstwerk erscheinen, unterstreichen diese Beziehungen. Die unterschiedliche Einstellung gegenüber visueller Darstellung kommen in den Überresten der Synagoge zum Ausdruck. Während Verzierungen vor dem dritten Jahrhundert hauptsächlich aus geometrischen und floralen Motiven bestanden, erblühte zwischen dem dritten und sechsten Jahrhundert eine aus unterschiedlichsten Elementen bestehende dekorative Kunst. Viele dieser bildlichen Elemente verkörpern spezifisch jüdische Symbole, wie beispielsweise die Menorah, das Schofar, die Torahlade, den Lulav und den Etrog. Zahlreiche Mosaikfussböden im Land Israel befassen sich mit biblischen Themen und illustrieren verschiedene Episoden der Bibel. Die dargestellten Bilder galten offensichtlich nicht als Götzenbilder. Obzwar die Juden Israels unter dem Einfluss der umgebenden Kulturen darstellende Malereien entwickelten und übernahmen, erfuhren die Motive nach dem sechsten Jahrhundert wieder eine Einschränkung und wurden sogar aus bestehenden Synagogen entfernt. Auch diese Entwicklung widerspiegelt bilderstürmerische Tendenzen des Christentums sowie die Ausbreitung des Islams. Die New Yorker Ausstellung zeigt eine Reihe von Verzierungen, wobei sie einerseits aus architektonischen Elementen bestehen, andererseits von den spektakulären Mosaiken stammen, die im Verlauf der Jahre ausgegraben wurden. Die meisten freigelegten Synagogen in der Diaspora besitzen Mosaikböden, die jedoch hauptsächlich geometrische Muster aufweisen. In Israel selbst hingegen existierten unterschiedlichste darstellende Abbildungen. In der Ausstellung kann ein Mosaik aus einer Synagoge des 6. Jh. von Merot besichtigt werden, das einen römischen Soldaten mit Helm zeigt, dessen langes Schwert in der Scheide steckt. Die Augen des Soldaten wurden wahrscheinlich von Bilderstürmern herausgerissen, so wie auch die Tiere aus dem Tierkreis in Na'aran und die Augen aller Figuren in den unteren Malereien in Dura-Europos gewaltsam entfernt wurden. Ein Teil des Tierkreises aus der Synagoge in Huseifa wird ebenfalls in dieser Ausstellung zugänglich gemacht. Bisher haben die Archäologen sechs Mosaikböden mit Tierkreisen entdeckt. Obwohl es den Eindruck erweckt, es handle sich um ein heidnisches Bild, besass der Tierkreis bei den Juden eine Kalenderfunktion, da die Zeichen des Tierkreises als Symbole für die ihnen entsprechenden jüdischen Monate verwendet werden. Es ist viel schwieriger, die Darstellungen aus der griechischen und römischen Mythologie zu interpretieren. Die berühmteste Gestalt ist der Sonnengott Helios, der mit seinem Feuerwagen in den Tierkreisen von Beth-Alpha und Hammath, Tiberias erscheint. Die Verwendung von heidnischen Symbolen in der Kunst der Synagogen bleibt weiterhin ein Thema voller Überraschungen, obwohl sich der Ausstellungskatalog damit auseinandersetzt und auch die verbindenden Elemente der verschiedenen Bilder erwähnt. Die wahrscheinlich bedeutendste Ausgrabung einer Synagoge in der heutigen Zeit fand in Sepphoris (Tzipori) in Galiläa statt. Sepphoris war ein Zentrum des jüdischen Lebens und der Gelehrsamkeit in der römisch-byzantinischen Epoche. Es liegt hoch oben in Galiläa und der Talmud erklärt den Namen der Stadt :"Und warum heisst sie Tzipori ? Weil sie wie ein Vogel (tzipor) auf dem Gipfel eines Berges sitzt." Josephus erwähnt die Stadt als das Ziel eines erfolglosen Versuchs eines Ptolemäus von Ägypten, sie während der hasmonäischen Periode zu erobern. Nach der Zerstörung des Tempels wurde die Stadt jedoch sehr bedeutend. Der Sanhedrin liess sich hier nieder und Rabbi Jehuda Hanassi beendete hier wohl die Mischna. Laut Jerusalemer Talmud befanden sich hier mindestens 18 Synagogen sowie zahlreiche Studienhäuser. Bis vor kurzem bestand der einzige Nachweis für eine Synagoge aus Widmungsinschriften. 1993 entdeckte das Team der Hebräischen Universität unter der Leitung von Zeev Weiss und Ehud Netter eine vollständige Synagoge, die wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 5. Jh. errichtet und am Ende der byzantinischen Epoche zerstört worden war. Der bedeutendste Fund war ein Mosaikboden im Hauptsaal in der Form eines langen Teppichs. An der New Yorker Ausstellung werden Fotos dieser Arbeit gezeigt, das echte Mosaik ist gegenwärtig Teil der Ausstellung "Promise and Redemption" (Versprechen und Erlösung), die im Juni im Israel Museum eröffnet wurde; es kann nach umfänglicher Restauration während eines Jahres besichtigt werden. (Zwei Felder wurden mit Beschädigungen entdeckt, zwei andere waren fast vollständig zerstört). Das aus 14 Feldern bestehende Mosaik weist einen Tierkreis, zahlreiche verbreitete Symbole wie die Bundeslade mit siebenarmigen Menorot, aber auch viele biblische Szenen auf, darunter eine Darstellung der Opferdarbringung am Tabernakel oder im Tempel, der Besuch der Engel bei Abraham und Sarah und die Opferung Isaaks. Die narrativen Darstellungen ähneln in mancher Hinsicht den Wandmalereien in Dura-Europos. Der zentrale Zirkel des Tierkreises, der eine griechische Inschrift aufweist, stellt den römischen Sonnengott Helios mit einem von vier Pferden gezogenen Wagen dar, doch nicht wie üblich als Wagenlenker, sondern stattdessen mit einer Sonne, deren Strahlen sich nach aussen ausdehnen. Die zwölf Tierkreiszeichen befinden sich im äusseren Zirkel, zusammen mit den Namen der Monate und den Zeichen in Hebräisch. In den vier Ecken des Rahmens um den Tierkreis erscheinen die Personifikationen der Jahreszeiten als weibliche Büsten mit hebräischen und griechischen Inschriften. Das Mosaik weist zahlreiche aussergewöhnliche ikonographische Details auf, sowohl im Tierkreis als auch in der Darstellung der Bibelszenen. Der Archäologe Zeev Weiss ist der Ansicht, "die verschiedenen Szenen des Mosaiks von Sepphoris stellten das Bindeglied zwischen den Kunstwerken in Dura-Europos und den illuminierten byzantinischen sowie den mittelalterlichen jüdischen Manuskripten dar". Die beiden Ausstellungen in New York und in Jerusalem zeigen uns, wie immer neue archäologische Entdeckungen unser Verständnis des Judentums und der frühen jüdischen Geschichte erweitern. Wir begreifen immer besser, wie sich die Synagogen entwickelten und wie die Juden im Verlauf der Jahrhunderte von aussen kommende kulturelle Einflüsse integrierten und aufnahmen. Dank diesen Ausstellungen warten wir gespannt auf zukünftige "Funde". |