Ein Chassid im Dienste der Nation
Von Roland S. Süssmann
Die grösste Überraschung der letzten israelischen Parlamentswahlen liegt weniger im Sieg Benjamin Netanyahus als im spektakulären Durchbruch der religiösen Parteien. Einer der Vertreter der orthodoxen Partei "United Torah Judaism", RABBINER MEIR PORUSH, 41 Jahre alt, Vater von elf Kindern, Chassid aus der Gur-Dynastie, leitet das wichtige Bau- und Wohnministerium. Bis zu seinem Amtsantritt war Meïr Porush mit Fragen des Wohnungsbau beauftragter stellvertretender Bürgermeister von Jerusalem.


Innerhalb der israelischen Regierung ist es einigermassen ungewöhnlich chassidische Minister anzutreffen, die darüber hinaus die Verantwortung für einen derart wichtigen Bereich tragen wie Sie. Wie sehen Sie Ihre Aufgabe ?

Vor allem bin ich ein gläubiger und praktizierender Jude, der nach den Gesetzen der Torah lebt und die Mitsvoth ausführt. Ich muss sagen, dass die Politik als solche auf keinen Fall eine Priorität in meiner Arbeit darstellt. Meiner Ansicht nach stehe ich im Dienste der Öffentlichkeit. Ich hasse die "Politik der Politiker", die sich letztendlich auf kleine Intrigen beschränkt. Meine tägliche Arbeit besteht aus den Kontakten vor Ort mit den städtischen Verantwortlichen, der Prüfung von Entwicklungsprojekten, usw.

Darüber hinaus ist die Wohnungsfrage in Israel sehr schwerwiegend, insbesondere aufgrund der raschen Explosion der Preise in den letzten Jahren, die unter anderem auf masslose Immobilienspekulationen zurückzuführen ist. Eine meiner Hauptaufgaben hat zum Zweck, dass jede Familie eine anständige Wohnstätte zu einem vernünftigen Preis erwerben kann. Als orthodoxer Jude bin ich mehr als jeder andere dazu gezwungen, der nichtreligiösen Welt nachzuweisen, dass wir in der Lage sind, uns voll für die allgemeine Wohlfahrt einzusetzen. Für mich liegt darin ein wesentlicher Bestandteil meiner Aufgabe.


Zahlreiche Leute denken, dass in der Aufnahme vieler religiöser Abgeordneten in die Knesset die Gefahr liegt, dass Israel nach dem Vorbild der islamischen Republiken in eine Theokratie umgewandelt wird. Es ist eine Tatsache, dass sowohl in Israel als auch in der Diaspora zahlreiche besorgte Stimmen laut werden. Wie steht es wirklich darum ?

Wir werden zwei Arten von Kritik ausgesetzt: Die einen betonen die Angst, weil die Leute uns nicht kennen und von den Tatsachen keine Ahnung haben; die anderen hingegen stammen von den liberalen und reformierten Gruppierungen, mit denen wir legitime und dauerhafte Diskussionen führen. Unserer Meinung nach bilden die reformwilligen und liberalen jüdischen Bewegungen (die sich eigenartigerweise konservativ nennen...) eine grosse Gefahr für das eigentliche Überleben des jüdischen Volkes. Heutzutage besitzen wir eine mächtige Position, wir können eine wichtige und einflussreiche Rolle innerhalb der Regierung spielen. Wir werden uns dafür einsetzen. Alle haben es für "normal" befunden, dass es der linksextremen Partei Meretz mit ihren zwölf Sitzen an der Knesset gelungen ist, den Regierungen von Rabin und Peres jene Politik aufzuzwingen, die sie, Meretz, für richtig hielt, und zwar in praktisch allen Bereichen, seien es die Auslandsbeziehungen, die Sicherheit oder die religiösen Belange. Wir sind nun dreiundzwanzig Parlamentarier, welche die religiösen Parteien vertreten und beabsichtigen unseren Einfluss dafür einzusetzen, dass die Belange des Staates in eine Richtung gelenkt werden, die wir für richtig und gut für Israel halten, jene des authentischen Judentums. Wir sind uns bewusst, dass wir unsere Ziele nicht in allen Bereichen verwirklichen können, aber wir werden in Übereinstimmung mit unserem Glauben, unserer Seele und unserem Gewissen handeln. Darüber hinaus haben wir alle eine grössere Sorge, jene der Einheit des jüdischen Volkes und eines guten Einverständnisses innerhalb des Landes. Führt uns G'tt in die gute Richtung und können wir unsere Tätigkeit innerhalb eines Ministeriums oder der Regierung im allgemeinen entfalten, indem wir allen zeigen, dass wir unsere Aufgabe im Dienste der Nation äusserst ernst nehmen, so wird dies offensichtlich dazu beitragen, dass diese unbegründeten Befürchtungen vermindert werden, ob es sich nun um die Schaffung einer Theokratie oder um die erzwungene Religionsausübung handelt.


Wie erklären Sie sich den wunderbaren Erfolg der religiösen Parteien, denen 19,2% der Wähler ihr Vertrauen gegeben haben?

Dies zeigt sehr offensichtlich, dass im Gegensatz zu den Auslandsbeziehungen, der Sicherheit, der Wirtschaft und den wichtigen aktuellen Gesellschaftsproblemen, die Frage der Religion nicht im zentralen Brennpunkt der israelischen Politik liegt. Es gibt sehr wohl Politiker, die daraus einen Zankapfel machen wollen, aber für die meisten Israelis ist diese Frage keine Quelle der Konfrontationen. Bei den letzten Parlamentswahlen haben 600 000 Stimmbürger ihre Wahl mit folgenden Worten getroffen: wir werden Menschen in die Knesset entsenden, die gehäkelte oder schwarze Kippoth und meistens auch einen Bart tragen. Jeder dieser Bürger wusste sehr wohl wen er wählte und wusste um die Werte, die den Kandidaten am Herzen liegen, die er zu unterstützen beschlossen hatte.


Eines der wichtigen Schlachtrosse der abtretenden Regierung war das Einfrieren der Bautätigkeit in den jüdischen Städten und Dörfern in Judäa, Samaria und im Gazastreifen. Vergessen wir nicht, dass Hunderte von Häusern mit dem Geld der Steuerzahler gebaut wurden und durch Beschluss der Regierung Rabin/Peres leer blieben. Nichtsdestotrotz hat die jüdische Bevölkerung in diesen Regionen unter der ihr feindlich gesinnten abtretenden Regierung um 50% zugenommen. Welche Haltung werden Sie diesem Problem gegenüber einnehmen ?

Jeder kennt die Einstellung des Likud zu diesem Thema und der Premierminister ist gleichzeitig Parteichef. Offensichtlich geht es hier um eine heikle Frage, und alle Entscheidungen müssen nach den Empfehlungen des Premierministers getroffen werden, der alle Parameter kennt, um gerecht und im geeigneten Moment zu handeln. Darüber hinaus steht absolut fest, dass es nicht der israelischen Regierung obliegt, einem Juden zu verbieten, sich dort in Israel nieder zu lassen, wo er es wünscht. Übrigens wurde das Einfrieren der Bautätigkeit als solches am 2. August 1996 aufgehoben. Ich bin gegenwärtig nicht in der Lage, Ihnen zu sagen, wieviele Juden sich in den kommenden Jahren in Judäa-Samaria etablieren werden. Übrigens könnten alle unsere Voraussagen bezüglich der Entwicklung im Baubereich völlig zunichte gemacht werden, sollte sich eine neue Immigrantenwelle vor den Toren Israels einfinden. Wir müssten dann eine Lösung finden und massiv bauen, wie bereits am Anfang der 90er Jahre.


Beinahe überall in Jerusalem stellt man fest, dass die Araber straflos und ohne Genehmigung bauen. Wollen Sie etwas unternehmen, um dieser Situation ein Ende zu setzen ?

Selbstverständlich muss sich jeder Bewohner den Gesetzen unterwerfen und es wird alles Ungesetzliche bekämpft. Dennoch muss ich die Bedeutung dieser "Delikte" berücksichtigen, und ich denke nicht, dass es zweckmässig ist, den ganzen Mittleren Osten wegen der ungesetzlichen Erweiterung einer Moschee oder eines Familienhauses "in Schutt und Asche" zu legen. Wir werden uns streng, jedoch realistisch zeigen.


Zum Abschluss eine persönliche Frage. Sollte eine wichtige Meinungsverschiedenheit zwischen Ihrer Partei und der Entscheidung Ihres Rabbi bestehen, wie werden Sie sich verhalten ?

Bisher hat sich diese Frage nicht gestellt; ich denke jedoch, dass diese Art von Widerspruch mit einem tadellosen Geist der Zusammenarbeit und gutem Willen aufgelöst werden kann. Als öffentliche Person muss ich in der Lage sein, die Dinge richtig beurteilen zu können und die Entscheidungen zu treffen, die mir gerecht erscheinen und zu denen ich mit all meiner Seele und meinem Gewissen stehen kann.