In der Fallstricke von Oslo | |
Von Emmanuel Halperin, unserem Korrespondenten in Jerusalem | |
Die Situation ist schwierig, einige nennen sie aussichtslos. Die Regierung Netanyahu möchte sich sicher von den Zwängen der Osloer Abkommen befreien, doch sie ist gezwungen sie einzuhalten, da dies das internationale Recht so vorschreibt. Natürlich möchte sie die Evakuierung von Hebron durch die israelische Armee umgehen, doch die von den Regierungen Rabin und Peres eingegangenen Verpflichtungen scheinen unumstösslich. Es bereitet ihr bestimmt kein Vergnügen die PLO-Verantwortlichen immer wieder zu treffen, doch letztere sind nun einmal da, höchstens zwei Schritte entfernt, und es wäre absurd, ihre Präsenz zu leugnen.
Was kann man denn tun, wenn einem die Hände gebunden sind, wenn der Druck der internationalen Staatengemeinschaft - der gegenwärtig erträglich ist, sich jedoch unmittelbar nach den amerikanischen Wahlen verschärfen könnte - berücksichtigt werden muss, und wenn die Regierung selbst darüber hinaus alles andere als einheitlich ist: einige Minister sprechen sich durchaus für die Fortsetzung des Gesprächs mit der palästinensischen Behörde, ja sogar für eine Intensivierung der Beziehungen zwischen Israel und der PLO aus. Zeit schinden, lautet die Parole; die Dinge in die Länge ziehen, eine Entscheidung über die Art der "Reaktivierung" in Hebron in zwei Wochen ansetzen, sie dann um ein bis zwei Monate verschieben; die Anführer der PLO, Arafat zuerst, "auf kleinem Feuer schmoren" lassen, damit sie begreifen, dass es nicht mehr dieselbe Regierung ist, welche über das Schicksal der Israelis entscheidet, und dass Netanyahu, wie er zu sagen pflegt, "nicht zum Premierminister der Palästinenser" gewählt wurde. Diese Taktik hat sich zwar in der Gegenwart bisher positiv ausgewirkt, kann jedoch keinesfalls in eine langfristige Strategie verwandelt werden. Und eine Strategie gibt es momentan keine. Was in den allerersten Wochen einer neuen Regierung vielleicht zulässig ist, kann nur schwer akzeptiert werden, wenn ein Team während vier Jahren die Verantwortung trägt. Wohin gehen wir ? Was wollen wir wirklich erreichen ? Dass es auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten gibt, widerspiegelt die Wirklichkeit nur unzulänglich: in Wahrheit tappen wir heute alle im dunkeln. Kurzfristig gesehen verzeichnet die Regierung einige Pluspunkte für sich. Das Beharren der Israelis auf dem Thema der "Gegenseitigkeit" hat Yasser Arafat davon überzeugt, dass Netanyahu ohne ein gewisses Entgegenkommen seinerseits keinen Schritt vorwärts machen wird. Daher haben die Palästinenser dem Druck Israels nachgegeben und - für wie lange ? - einige Institutionen im Zusammenhang mit der palästinensischen Behörde, deren Büros trotz offensichtlichem Verstoss gegen die Osloer Abkommen in Jerusalem tätig waren, geschlossen. Daher stammt auch die scheinbar grössere Bereitschaft, die terroristischen Elemente des Hamas in den Gebieten unter palästinensischer Herrschaft zu bekämpfen. Und dann ? Kann man einer politischen Institution Vertrauen schenken, die - zu recht - nicht sehr vertraueneinflössend wirkt ? Die palästinensischen Gesprächspartner Israels beklagen sich jeden Tag darüber, dass sie wegen der Politik Jerusalems, die "uns nicht genug gibt", für die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung nicht aufkommen können. Das gesamte Gebäude könnte einstürzen, sagen sie, wenn die Dynamik von Oslo nicht fortgesetzt wird. Israel gibt sein Bestes - dies ist eine der ersten Entscheidungen der Regierung - um die palästinensischen Arbeitskräfte zu beschäftigen, die seit den Sicherheitsmassnahmen der vorherigen Regierung nach der Welle von Terroranschlägen im vergangenen Frühjahr arbeitslos geworden waren. Heute dürfen etwas mehr Arbeitnehmer aus Gaza, Judäa und Samaria auf israelisches Gebiet einreisen, der Warenverkehr ist vereinfacht worden. Doch das Verhalten der palästinensischen Behörde vor Ort lässt zu wünschen übrig und zeugt von der durchschlagenden Unfähigkeit korrkt zu regieren: Unterschlagung eines Teils der internationalen Hilfe zugunsten einiger Privilegierter; Brutalität der PLO-Sicherheitsdienste, welche die Menschenrechte in den Gebieten schamlos missachten; und schliesslich systematische Ablehnung, die berüchtigte palästinensische Charta abzuschaffen, deren angebliche, vor den Wahlen von der Regierung Peres triumphierend angekündigte Abänderung sich heute als in die Augen gestreuter Sand herausstellt. Die israelische Regierung muss ebenfalls die Drohungen Ägyptens, die feindseligen Ankündigungen Syriens und des iranischen Regimes, sowie die immer deutlichere Präsenz des Hisbollah auf libanesischem Territorium berücksichtigen. Diese Organisation verfügt ab sofort über Katjuscha-Raketen mit einer Reichweite von 40 km, wodurch Städte wie Akko, Karmiel oder Safed sehr verwundbar werden. Und sobald man weiss, dass die beschränkten Aktionen der israelischen Armee im Südlibanon keine einzige Einrichtung oder Abschussrampe von Katjuscha-Raketen zu zerstören erlaubten, begreift man, vor welchem militärischen Problem Israel aufgrund seiner siebenseitigen Grenzen steht. Der Eindruck, den man seit dem Amtsantritt von Netanyahu erhält, besteht darin, dass jeder Versuch, das seit drei Jahren bestehende verstrickte Netz zu zerstören, das die vorherige Regierung voller Geduld zu knüpfen versuchte, von unüberwindbaren Problemen verhindert wird. Die unbewegliche Haltung wird zwar zum Niedergang Arafats führen, doch Israel wird in erster Linie die Verantwortung dafür tragen. Netanyahu kann in diesem Stadium ankündigen, dass er den Baustopp für Siedlungen aufhebt - das ist das mindeste, was er tun kann - ohne jedoch den Wohnungsbau in den jüdischen Ortschaften wirklich wieder anzukurbeln. Er kann noch so viele beeindruckende Reden über Stärke halten, ohne seine Konsequenz wirklich auf die Probe zu stellen. Diese unangenehme Situation, die bei kurzer Dauer ohne Auswirkungen bleiben wird, kann Israel langfristig sehr teuer zu stehen kommen. |