Der Standpunkt von S.E.M. Meir Rosenne | |
Von Roland S. Süssmann | |
Israel führt eine Grundsatzverhandlung mit Syrien. Gleichzeitig wirft die Umsetzung der von den Palästinensern eingegangenen Verpflichtungen zahlreiche Probleme auf. Wir haben S.E. Meir Rosenne, ehemaligen juristischen Berater Menachem Begins in Camp David und späteren Botschafter Israels in Washington und Paris ersucht, diese beiden Aspekte des derzeit stattfindenden sogenannten "Friedensprozesses" für uns zu analysieren. Die gegenwärtigen Verhandlungen mit den Syrern und den Palästinensern sollen das Schicksal und die Zukunft des israelischen Staates sowie zu einem grossen Teil die Lebensqualität der israelischen Bürger in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. Denken Sie daher, dass dieser Prozess das Überleben des Staates selbst gefährden kann ? Meiner Ansicht nach ist Israel stark genug, damit die Existenz des Landes selbst nicht gefährdet wird. Als Juden und mit unseren Erfahrungen wissen wir dennoch sehr wohl, dass nichts in alle Ewigkeit gewährleistet ist. Ferner sind uns die Fortschritte der arabischen Welt im Bereich nichtkonventioneller Waffen wohl bewusst. Die laufenden Verhandlungen zwischen den Vereinten Nationen und dem Irak weisen täglich nach, dass die Gefahren, denen wir während des Golfkrieges ausgesetzt waren, in der Tat viel grösser waren, als wir damals dachten. Aufgrund seiner speziellen Lage und Geschichte ist es besonders wichtig, dass sich Israel bei jeder Verhandlung vergewissert, dass alle Massnahmen zum Überleben des Staates getroffen werden. Sind diese Massnahmen Ihrer Meinung nach im Rahmen der Osloer Abkommen tatsächlich getroffen worden ? An den Osloer Abkommen sind sowohl die Israelis als auch die Palästinenser beteiligt. Was nun heute zählt, ist nicht so sehr die Analyse der Texte, sondern das Ausmass der Einhaltung dieser Abkommen. So ist es beispielsweise heute nicht zweckmässig, die verschiedenen Klauseln dieser Abkommen unter die Lupe zu nehmen, um festzustellen,welche Verpflichtungen Israel im Bezug auf Jerusalem oder auf das gefährliche Recht der Palästinenser auf Rückkehr eingegangen ist. Hingegen muss die genaue Beachtung der durch die andere Partei eingegangenen Verpflichtungen unbedingt überprüft werden. Aus diesem Grund bin ich sehr besorgt, insbesondere nach den kürzlich erfolgten Erklärungen der PLO und Arafats bezüglich der Annullierung der palästinensischen Charta, welche die Auflösung des Staates Israel vorsieht. Es muss in Erinnerung gerufen werden, dass diese Charta 1964 bewilligt wurde, drei Jahre nämlich vor dem Sechstagekrieg, d.h. bevor Israel zur Verwaltung der Gebiete gezwungen war. Die erwähnten Punkte der Charta betreffen daher nicht die Gebiete, sondern Israel als Ganzes. Die Tatsache, dass man sich bereits dreimal zur Annullierung der Charta verpflichtet hat, die niemals in die Tat umgesetzt wurde, darf nicht ausser acht gelassen werden. Die Charta bestimmt klar und deutlich, dass eine Zweidrittelmehrheit innerhalb des palästinensischen Rates für eine Abänderung erforderlich ist, was schwierig zu erreichen ist. Darüber hinaus verlange die PLO einigen Gerüchten zufolge als Gegenleistung für eine solche Aufhebung die Anerkennung durch Israel eines zukünftigen palästinensischen Staates mit Hauptstadt Jerusalem. Solche Punkte wurden in den Osloer Abkommen nie erwähnt. Es ist unvorstellbar, dass eine israelische Regierung, ob von links oder von rechts, es annimmt, dieselbe Ware dreimal zu einem immer höheren Preis zu erstehen. Wie wird sich im Hinblick auf die Umsetzung der Abkommen vor Ort, insbesondere auf die Tatsache, dass die PLO die Terroristen frei und unbestraft in den autonomen Gebieten leben lässt, die Lage Ihrer Meinung nach entwickeln ? Mit den Osloer Abkommen hat Israel akzeptiert, dass die Übeltäter, Verbrecher bzw. Terroristen Verbrechen in Israel begehen und anschliessend in den autonomen Gebieten Zuflucht finden können. Dasselbe Abkommen bestimmt, dass sich die palästinensische Behörde verpflichtet, jene Verbrecher auszuliefern bzw. im eigenen autonomen Gebiet vor Gericht zu bringen, die Verbrechen in Israel begehen. Nach dem Tode Abu Ayash haben die bewilligten Demonstrationen, die im Gazastreifen stattgefunden haben, und das durch Arafat ausgedrückte Beileid das Zusammenwirken zwischen der palästinensischen Behörde und den Terroristen wohl zutagegelegt. Vor den palästinensischen Wahlen sagte Arafat, seine Macht reiche nicht aus, damit er reagieren könne. Seitdem er mit einer Mehrheit von 80% gewählt wurde, verfügt er sehr wohl über das dazu erforderliche Ansehen, und wenn er die Terroristen nun nicht ausliefert, ist der einzige Grund dafür, dass er den politischen Willen dazu nicht hat. Dieser mangelnde Willen bildet ein zusätzliches Unruheelement im Hinblick auf die Zukunft und die Sicherheit. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Osloer Abkommen sehr schnell gebrochen wurden. Die palästinensische Aktivität im Rahmen des Orient House in Jersualem ist dafür ein typisches Beispiel. Die palästinensische Verpflichtung, internationale Verhandlungen mit ausländischen Missionen nur in Jericho oder in Gaza durchzuführen, wird dabei völlig ignoriert. Ausserdem fühlt sich jeder nach Israel reisende Aussenminister verpflichtet eine "Pilgerfahrt" ins Orient House zu unternehmen. Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Verhandlungen mit Syrien entwickeln ? Leider herrscht weltweit der Eindruck, dass Israel den Frieden viel mehr braucht als Syrien, und dass Syrien Israel durch die Unterzeichnung eines Friedensvertrages eine Gunst erweist. Selbstverständlich ist das völlig falsch. Im Hinblick auf die Rahmenbedingungen der Verhandlungen müssen wir eine gewisse Anzahl von Elementen begreifen. Dass der amerikanische Staatssekretär siebzehn- oder achtzehnmal nach Damaskus gekommen ist, während er nur sieben- oder achtmal nach London oder Moskau reiste, bildet für Assad einen nicht zu bestreitenden Beweis der Schwäche der westlichen Länder. Es sollte wohl verstanden werden, dass es sich nicht nur um die Art der zukünftigen Beziehungen zwischen Israel und Syrien handelt, sondern auch um das Prestige der Vereinigten Staaten. Ausserdem haben sich die Treffen zwischen Assad und den amerikanischen Präsidenten nach seinem Wunsch immer in Genf abgespielt, wo die Präsidenten Carter, Bush und Clinton mit ihm zusammentrafen. Beim Clinton-Assad-Treffen vom 17. Januar 1994 wollte Clinton von Assad eine Erklärung gegen den Terrorismus erlangen, die er nicht erhalten hat. Wir müssen uns im klaren sein, dass Assad nicht mit Israel verhandelt, sondern mit den Vereinigten Staaten. Weiters hat er deutlich zu verstehen gegeben, dass er zu keinem Kompromiss bereit ist, da eines seiner Ziele die Erniedrigung sowohl Israels als auch der Vereinigten Staaten ist. Dazu darf nicht vergessen werden, dass sich Assad ohne vorherige Zusage Israels auf die Madrider Konferenz begeben hat. Heute will er von Israel die Wiederherstellung der Grenzen vom 4. Juni 1967 erlangen. Bevor sie aber auf Verhandlungen über den Golan einlässt, sollte die israelische Regierung zuvor die Beendigung der Operationen des Hizbollah im Libanon verlangen. 1976 hatte auf Wunsch der Vereinigten Staaten Israel die Stationierung syrischer Truppen im Libanon gebilligt. Damals hoffte Israel, die syrische Präsenz würde die Sicherheit der nördlichen Grenze Israels garantieren. Heute stellt sich mehr denn je zuvor als wahr heraus, dass der Hisbollah, der im Auftrag Syriens und des Irans arbeitet, unbestraft bleibt. Es stellt sich daher die Frage, ob Assad in der Lage ist, den Hisbollah wirklich zu kontrollieren oder nicht. Wenn es tatsächlich der Fall ist, muss er handeln und seinen guten Willen zeigen; ist es ansonsten wirklich notwendig mit ihm zu verhandeln, wenn eine von ihm unterzeichnete Erklärung nur wenig Chancen hat, tatsächlich umgesetzt zu werden ? Hinzu kommt die Tatsache, dass die neun, jede Form von Friedensprozess im Mittleren Osten ablehnenden arabischen Organisationen ihr Hauptquartier in Damaskus haben. Ferner müssen vor jeder Vertragsunterzeichnung mit Syrien Informationen über Ron Arad verlangt werden, da er bestimmt am Leben und in seinen Händen ist. Denken Sie, dass die israelische Bevölkerung derzeit bereit ist, Risiken gegenüber Syrien einzugehen ? Im Gegensatz zu allgemein kursierenden Gerüchten ist Israel in der Friedensfrage überhaupt nicht gespalten. Es gibt in Israel keine Familie, die nicht irgendwie durch terroristische Verbrechen oder Kriege berührt wurde, geschweige denn von der Schoa. Jeder israelische Bürger, jeder Jude will den Frieden, aber einen Frieden mit dem man leben kann. Die Behauptung, wonach es in Israel ein "Friedenslager" und ein "Kriegslager" gibt, ist völlig falsch. Ziel der nächsten Wahlen ist es, den tiefen Wunsch der Bevölkerung auf demokratische Weise auszudrücken. Ist sie bereit, sowie es die Basis der Arbeitspartei will, einen Rückzug aus dem Golan anzunehmen, oder wünscht sie vielmehr Vereinbarungen, welche die Sicherheit Israels mit israelischer Präsenz auf dem Golan gewährleisten würden ? Wie immer vor Wahlen, werden zahlreiche Erklärungen und Versprechungen zwischen beiden Seiten ausgetauscht, selbstverständlich ohne jegliche Garantie, dass diese eingehalten würden. Durch die Vorverlegung der Wahlen sollen die Regierenden eine breitere politische Mehrheit erhalten als jene, über die sie heute verfügen. Ich glaube nicht, dass diese frühere Durchführung auf die Verhandlungen mit Syrien oder sogar auf den Mord am Ministerpräsidenten zurückzuführen ist Tatsache ist, dass Israel vor historischen Entscheidungen steht und Wahlen unbedingt erforderlich sind. Als Demokratie ist es für das Land von Bedeutung, dass die Regierung, welche über das Schicksal des Landes verhandelt, sich auf eine breite politische Basis stützen kann. Sie waren einer der Hauptverhandler an den Camp-David-Abkommen. Können diese Ihrer Meinung nach mit den Osloer Abkommen verglichen werden ? Zunächst glaube ich, dass eine gewisse Anzahl falscher Informationen zu berichtigen sind. Wenn zum Beispiel behauptet wird, dass sich Israel durch das Abkommen in Camp-David zur Anerkennung eines palästinensischen Staates verpflichtet hätte, ist dies völlig unrichtig. Man behauptet ferner, dass sich Israel im Rahmen dieser Vereinbarungen verpflichtet habe, bei jeder Verhandlung, bei allen zukünftigen, von Israel unterzeichneten Verträgen, dem Beispiel des Camp-David-Abkommen zu folgen, was völlig falsch ist. Im Text heisst es wörtlich, dass dieses Abkommen in solch einem Fall als Beispiel zu dienen hat. Es ist völlig offensichtlich, dass die Verhandlungen über den Golan mit der Situation im Sinai nicht verglichen werden können, da letzterer viermal so gross als Israel ist. Im Abkommen von Camp David betrifft kein einziger Absatz Jerusalem. Es stimmt, dass den Vereinbarungen drei von den Herren Begin, Sadat bzw. Carter unterzeichnete Briefe beigelegt sind, in welchen jeder zur Stadt Stellung nimmt. Heute aber haben wir zwei Abkommen, das eine mit der PLO und das andere mit Jordanien, in welchen sich die israelische Regierung über den Status von Jerusalem zu verhandeln verpflichtet. Beim Abkommen von Camp David haben wir einen Friedensvertrag mit Ägypten, einem souveränen Staat, unterzeichnet, während die Osloer Abkommen mit einer Organisation ohne internationalen juristischen Status unterschrieben wurden, die nicht mit einem Staat verglichen werden kann. Sind Sie nun eher optimistisch oder besorgt ? Dazu werde ich David Ben Gurion zitieren, der behauptete, dass derjenige, "der in Israel nicht an Wunder glaubt, kein Realist ist". Demnach stelle ich als Realist fest, dass die Verletzungen, die auf palästinensischer Seite stattgefunden haben, so geartet sind, dass sogar jene, die zu sehr schwerwiegenden Kompromissen bereit sind, sie weder übersehen noch annehmen dürfen. Aus diesem Grund glaube ich, dass folgende Aspekte im Hinblick auf die Abänderung der Charta, welche heute im Zentrum der Verhandlungen aller israelischen Politiker steht, offensichtlich sind: sofern die PLO diese Charta nicht radikal verändert oder versucht Umgehungswege zu finden, um dieser Verpflichtung zu entgehen, sehe ich nicht, wie der jetzige Prozess fortgesetzt werden könnte. Dasselbe gilt für die Auslieferung der Terroristen, die derzeit in den selbständigen Gebieten leben. Dass sie nicht einmal verhaftet werden, kann nicht unbestraft und ohne Konsequenzen bleiben. Glauben Sie als Jurist nicht, dass der erste Terrorist, der verhaftet werden sollte, Yassir Arafat heisst ? Als Antwort zitiere ich einige Presseberichte, nach deren Angaben unser Premierminister Shimon Peres am vergangenen 8. Februar erklärt habe, dass "sofern Arafat nicht in der Lage ist, die eingegangen Verpflichtungen einzuhalten, er vielleicht ersetzt werden sollte ...". * Nach seiner Amtszeit als Präsident der State of Israel Bonds hat sich S.E. Meir Rosenne aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Er ist heute als internationaler Anwalt in Jerusalem tätig. |