Attentate - Wahlen
Von Emmanuel Halperin, unserem Korrespondenten in Jerusalem
Zwischen verlogener Hoffnung und trauriger Wahrheit wird man wohl wählen müssen. Von einer eher illusionsreichen als visionären Regierung wurde die Hoffnung bereits seit drei Jahren gehegt: mit einem langjährigen Terroristen einen realistischen "Frieden der Tapferen" mit kalkulierbaren Risiken abzuschliessen. Anscheinend wurden die Risiken ganz falsch eingeschätzt. In Wahrheit kann man mit Feinden des Friedens keinen Frieden schliessen: die Abwesenheit eines glaubwürdigen Partners, wie frustrierend dies auch immer sein mag, darf und sollte nicht dazu führen, dass ein zweifelhafter Gesprächspartner mit vermeintlichen Tugenden ausgestattet wird. Naïvität darf in der Politik nicht als Vorwand dienen, dadurch wird ein Traum zu teuer bezahlt.

Die Attentatswelle in den israelischen Städten ist die Folge eines abgekarteten Spieles zwischen der PLO und dem Hamas. Die westlichen Regierungen und die Presse der Grossmächte weigern sich, dies zuzugeben. Selbst in Jerusalem versucht man, diese offensichtliche Tatsache zu vertuschen. Früher oder später wird man dies aber akzeptieren müssen: es handelt sich um ein und denselben Kampf. Nun weiss man ohne jeden Zweifel, dass die palästinensische Behörde und Arafat selbst von den Absichten des Hamas vollkommen im Bild waren. Statt aber die Leiter dieser Organisation, mit welcher die PLO weiterhin freundschaftliche Beziehungen unterhält,zu verhaften, haben sich Arafats Männer damit begnügt, ihre Brüder darum zu bitten, geplante Attentate auf spätere Termine zu verschieben, sprich nach den Wahlen in Israel am 29. Mai. Die Bedeutung einer solchen Reihe von blutigen Attentaten, verübt von "verzweifelten Menschen", wird im Falle eines Likud-Siegs bei diesen Wahlen verständlich. Gewinnen die Linksparteien, hätte die PLO darauf hoffen können, diese verbrecherischen Taten zu verwenden, um die Israelis davon zu überzeugen, nur die rasche Schaffung eines unabhängigen und souveränen palästinensischen Staates wäre in der Lage, das Problem des Hamas zu lösen. Wer weiss ? Womöglich hätte sich Peres überzeugen lassen. Aber - zur grossen Enttäuschung und Wut Arafats, verständlich - hat sich der Hamas eine andere Strategie zu eigen gemacht, was den PLO-Chef in eine schwierige Lage versetzt: er verurteilt die Attentate, was das mindeste ist, was er tun kann, und ist schliesslich doch nicht in der Lage, sich gegen seine Verbündeten zu wenden. Nicht aus Schwäche, wie es manche gerne darstellen würden: Israel hat es Arafat ermöglicht, eine Streitkraft von 30 000 Männern zu bilden. Er kann einfach nicht auf ein wirksames terroristisches Instrument verzichten. Die PLO hat den Terrorismus offiziell aufgegeben, er braucht daher wohl einen Ersatz.

Der Chef der Nachrichtendienste des israelischen Militärs hat es kurz vor den Attentaten in den Autobussen enthüllt: die PLO schont den Hamas und lässt Ausbildungen durchführen und Stützpunkte einrichten, um ihn als Druckmittel gegen Israel verwenden zu können, sobald die Verhandlungen über den endgültigen Status der Gebiete beginnen werden.

Man weiss ebenfalls, dass am 22. Dezember des vergangenen Jahres in Kairo eine Absprache stattgefunden hat zwischen einer Delegation des Hamas und einer vom amtierenden Präsidenten des Nationalen palästinensischen Rates (jener Rat, der gemäss Osloer Abkommen die Charta der PLO aufheben sollte) geleiteten Vertretung der PLO. Diese Vereinbarung legte für den Hamas die Verpflichtung fest, keine terroristischen Operationen von den nunmehr unter ausschliesslicher Kontrolle der palästinensischen Behörde gestellten Gebieten zu starten. Mit anderen Worten, die PLO gibt grünes Licht, solange die anderen Gebiete als Basis dienen. Nicht zufällig sind daher die meisten derzeit erfolgten Attentate durch Terroristen aus noch unter israelischer militärischer Kontrolle stehenden Gebieten begangen worden. Es wurde dennoch schnell festgestellt, dass die Waffen und Sprengstoffe aus Gaza stammen.

Die Regierung Peres hat grosse Mühe, ihre Verzweiflung zu verbergen. Sie muss trotzdem Unmögliches versuchen: die Öffentlichkeit muss davon überzeugt werden, bei den Attentaten handle es sich um einen bedauerlichen Zwischenfall, und die Osloer Abkommen, die Anerkennung der PLO und der Dialog mit letzterer stellten letztendlich grosse Erfolge dar, der neue "Nahe Osten" zeige sich am Horizont unserer Hoffnung, wenn er auch noch nicht verwirklicht sei.

Die Realität ist aber hartnäckig. Vor aller Blicken verherrlicht Arafat den Meisterterroristen Yihia Ayash und nennt ihn "Shahid". In den "befreiten" Städten, besonders Kalkilya, kaum einige hundert Meter von der israelischen Stadt Kfar Saba entfernt (und daher ganz in der Nähe von Tel-Aviv), organisiert der Hamas Massendemonstrationen: falsche Autobusse werden verbrannt und israelische Flaggen werden durch Offiziere von Arafats Militär mit den anderen Demonstranten mit Füssen getreten. Das Fernsehen der palästinensischen Behörde versucht weiterhin, ihren Zuschauern weiszumachen, es komme der Tag, an welchem ganz Palästina vom Jordan bis ans Meer befreit werde.

In der Zwischenzeit stellt Israel fest, dass es den grossen militärischen Vorteil, der ihm durch die Präsenz seiner Truppen in den Städten von Gaza und Judäa-Samaria entstand, nämlich wirksame Informationsdienste, die oft in der Lage waren, geplante Attentate zu entschärfen, verloren hat. Gaza, Nablus, Jenin, Ramallah, Jericho, Kalkilya, Tulkarem, alle sind zu terroristischen Nestern geworden. Gemäss Osloer Abkommen hat Israel die Sorge um die tagtägliche Sicherheit der Einwohner den palästinensischen Behörden, d.h. PLO-Leuten, anvertraut. Diese sollen nun terroristische Attentate in Tel-Aviv oder Jerusalem verhindern. Sie sind sozusagen unersetzlich geworden; Israel hat keine Kontrolle mehr über diese abgetretenen Gebieten; eine Rückkehr würde bedeuten, dass das Oslo-Gebilde wertlos geworden ist; die Informationen fehlen oder entsprechen nicht mehr den früheren, da die arabischen Agenten, die für Israel arbeiteten, zu oft der PLO überlassen wurden, d.h. einem ziemlich schlimmen Schicksal.

Bedeutet all dies, dass der vor drei Jahren mit der PLO eingegangene Prozess bald eingestellt wird ? Überhaupt nicht. Es gibt keine Alternative, erklärt Peres, nur Arafat kann diese Aufgabe erledigen, es gibt keine Ersatzlösung, er muss dazu überredet, ja gezwungen werden, notfalls mit Hilfe der Amerikaner und der internationalen Gemeinschaft, seine Verpflichtungen einzuhalten, das Bild von sich zu geben, das die Regierung den Israelis von ihm verproche hat: das Bild eines verantwortlichen Politikers. Viele Israelis, vielleicht sogar eine Mehrheit, ziehen es vor, dieser Vorstellung Glauben zu schenken als jener einer starken Rechten, die behauptet, die Maske sei für immer weggerissen worden. Der Likud, etwas moderater, ist sich der Erwartungen der Öffentlichkeit bewusst: man hat den Israelis zu lange eine Hoffnung auf Frieden vorgespiegelt als dass sie diese ganz aufgeben. Darum drückt sich die wichtigste Oppositionspartei mit Vosicht aus, deshalb betont sie die Fortsetzung des Friedensprozesses, wenn ihr die Wähler ihr Vertrauen schenken, obgleich sie die Notwendigkeit weiterer Vorsicht, weiterer Überlegungen, weiterer Vorbeugungsmassnahmen unterstreicht. Paradox überzeugen die Attentate sehr viele Israelis davon, dass die Präsenz der Tsahal überall in den Gebieten nicht notwendig ist, sondern dass es viel besser wäre, alle Palästinenser loszuwerden: "Jeder bei sich, sie nicht mehr sehen, wir hier, sie dort", hört man sowohl links als auch rechts. Und grosse Hoffnungen stützen sich auf eine "illusorische" Trennung, die ein mehrere Hundert Kilometer langer Stacheldrahtverhau bekräftigen würde. Man weiss sehr wohl, dass nichts einen entschiedenen Menschen daran hindern kann, solch ein Hindernis zu übertreten. Diese Ablehnungshaltung, dieser Versuch leichter Lösungen, können dennoch der Arbeiterpartei Israels dennoch dienlich sein. Die Attentatswelle hat daher nicht den Sieg der rechten Parteien gesichert, nicht mehr als der Mord an Itzchak Rabin denjenigen von Peres gesichert hat. Die Partie ist noch offen und die Entscheidung bei den Wahlen im Mai wird vielleicht von einer temporären Laune abhängig sein, aufgrund eines unvorhersehbaren Ereignisses wenige Tage vor der Wahl. Nach bald fünfzig Jahren Unabhängigkeit an einem Punkt stehen, über das eigene Schicksal unter dem Einfluss eines eventuellen terroristischen Attentates entscheiden zu müssen - das ist wohl eine traurige Lage, in welcher sich die Bürger des Staates Israel befinden.