Beit Haschoah - Museum of Tolerance
Von Roland S. Süssmann
"Haben Sie Vorurteile ? Wenn ja, gehen Sie durch die grüne Tür, wenn nicht, durch die rote"... doch die rote Türe bleibt hartnäckig geschlossen und lässt keinen einzigen Besucher hinein. So beginnt der Besuch des "BEIT HASHOAH - MUSEUM OF TOLERANCE", eines der interessantesten Museen der Welt, Teil des Simon Wiesenthal Center in Los Angeles. In diesem Museum werden in zwei Abteilungen eng miteinander verbundene Themen behandelt: einerseits die Sekten, die Bigotterie, der Rassismus und die Intoleranz in den USA, andererseits die Geschichte der Schoah. Das Konzept des Museums hat mit dem herkömmlichen, üblichen Aufbau einer Ausstellung von meist leblosen Gegenständen wenig gemeinsam. Hier bewegt sich alles, ruft zum Handeln auf, regt zum Denken an. Die neuesten Techniken im audiovisuellen Bereich und der Informationsübertragung, sowie interaktive Medien fesseln den Besucher.
Die erste Abteilung mit dem Titel "The Tolerancenter" präsentiert sich als eine Art Workshop in 35 Teilabschnitten, in denen der Besucher aktiv an der Entdeckung der diversen Aspekte der Bigotterie, des Sexismus, der Vorurteile und des Rassismus beteiligt wird. So berichtet z.B. ein Videofilm von einem Empfang, an dem folgende Gesprächsfetzen aufgeschnappt werden können: "Ich bin ja kein Rassist, aber Sie wissen doch selbst, wie diese Leute sind...", oder "Ich habe wirklich keine Vorurteile, doch wenn meine Tochter einen von denen heiraten würde...". Durch die Teilnahme an einigen technischen Spielen wird der Besucher ständig mit Entscheidungen konfrontiert und muss seine Meinung zum Ausdruck bringen. Eines der Spiele besteht darin, das ideale Paar zusammenzustellen, indem Bilder aufgrund der Rasse, des Berufs oder des Geschlechts der abgebildeten Personen gemischt oder eben so belassen werden. Ein anderes Spiel befasst sich mit der Bedeutung von stereotypen Vorstellungen, die wir seit unserer Kindheit in uns tragen: "Dicke sind sympathisch", "Frauen sind hilflos" usw. Es wird bewiesen, wie sehr diese Vorurteile unser Denken beeinflussen. Auf diese Weise beteiligt man sich direkt an zahlreichen "Spielen". Weitere Aspekte dieser Abteilung des Museums sind ebenfalls äusserst aufschlussreich. Der Film "It is called Genocide" zeigt die Massaker, die neben demjenigen der Schoah im 20. Jahrhundert in Armenien, Kambodscha, Südamerika usw. durchgeführt wurden, während ein anderer multimedialer Film vom Kampf um Bürgerrechte in den Vereinigten Staaten spricht. Darüber hinaus gibt eine sehr interessante elektronische Karte der USA mit dem Titel "The Other America" die Regionen des gesamten Landes an, in denen Hunderte von Gruppierungen des Hasses tätig sind. Auf dem Bildschirm, der sich vor der Landkarte befindet, können genauere Informationen zu jeder dieser Gruppen abgefragt werden: Aktivitäten, Ideologien, Reichweite u.a. Die Multimedien-Bildschirme ermöglichen die direkte Konfrontation mit alltäglichen Situationen und die bewusste Wahrnehmung gängiger Ausdrücke, die oft den Keim des Rassismus bereits in sich bergen. Dasselbe geschieht mit falschen Vorstellungen und Vorurteilen. Die Ausstellung beweist, wie schnell sich Irrmeinungen in Gewaltakte verwandeln. Allmählich wird der Besucher mit Hilfe einer historischen Erläuterung, mit Fotos aus Vergangenheit und Gegenwart dazu gebracht, sich den Einfluss seiner Worte und seiner Gedanken auf sein Handeln und seine unmittelbare Umgebung zu vergegenwärtigen.
Von dieser Erkenntnis erfüllt, welche niemanden unberührt lässt, betritt der Besucher die Abteilung, welche sich direkt mit der Schoah beschäftigt. Auch hier muss jeder eine Entscheidung treffen. Der Erzähler lädt jeden einzelnen von Anfang an ein, in die Vergangenheit, d.h. in die Stadt Berlin der Goldenen Zwanziger zurückzukehren, die damals eine Hauptstadt Europas und eine kulturelle Hochburg verkörperte. Die Geschichte jener Zeit, der wirtschaftliche und soziale Kontext, die Scham Deutschlands nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs, welche jeder Form von Extremismus die Türen öffnete, sowie der allgegenwärtige Antisemitismus werden dem Besucher in Erinnerung gerufen, der sich scheinbar im Jahre 1932 plötzlich auf der Terrasse eines Berliner Cafés befindet. Natürlich kann das gesamte Museum in jeder Hinsicht als beispielhaft bezeichnet werden, doch diese Rekonstituierung gehört zu den erschütterndsten Momenten des Besuchs. Verschiedene an den Café-Tischen sitzende und plaudernde Paare werden durch Puppen dargestellt. Ein junger Amerikaner versucht seine jüdische Freundin zu überreden, ihm nach Chicago zu folgen. "Du machst dir unnötige Sorgen", sagt Ilse in der Überzeugung, dass ihre Familie sich den Respekt ihrer deutschen Mitbürger erkämpft hat... Vom Erzähler erfahren wir am Schluss, dass Ilse und ihr Ehemann nach Litauen deportiert und von den Nazis umgebracht wurden. Einige typische Persönlichkeiten der damaligen deutschen Gesellschaft, Juden und Nichtjuden, sitzen auf dieser Terrasse und sprechen miteinander; jedesmal berichtet der Erzähler am Schluss, welch tragisches Schicksal sie schliesslich eingeholt hat. Hiermit will das "Museum of Tolerance" den Besuchern zeigen, dass der Nazi-Staat in Europa nicht rein "zufällig" entstanden ist. Das Klima wird genau beschrieben, das damals Hitler die Machtergreifung ermöglicht hatte; es wird veranschaulicht, dass dieser Prozess in jeder Phase durch das bewusst passive Augenverschliessen der Deutschen angesichts des offensichtlichen und unvermeidlichen Aufkommens des Nazismus geprägt war. Später ist die Rede vom Aufstieg Hitlers, von der Kristallnacht, bis zur berüchtigten Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942, die wunderbar rekonstituiert wurde. Hinter einer Glaswand befindet sich ein Konferenzraum, wo man die Nazi-Anführer die systematische Vernichtung von elf Millionen europäischer Juden planen und die verschiedenen Tötungs- und Deportationsmethoden mit viel Gelassenheit, Distinguiertheit und beim gleichzeitigen Genuss ausgezeichneter Weine diskutieren hört. Anlässlich dieser Konferenz wurde die Endlösung beschlossen, wobei man mit der Vernichtung der Juden in Polen beginnen wollte, um danach auch die Juden im übrigen Europa zu exterminieren, sobald das Problem des Transports gelöst worden wäre.
In der Folge erlebt der Besucher nacheinander die Deportation, die Lager, die Massenermordung der Juden, der Zigeuner, Homosexuellen, Dissidenten, Kommunisten, Intellektuellen, Geisteskranken und Körperbehinderten. Es wird ebenfalls hervorgehoben, mit welcher Begeisterung die von den Nazis besetzten Länder an diesem Plan mitwirkten; die lokale Polizei und die Bevölkerung unterstützten meist aktiv die Ermordung der Juden.
Ein ausführliches Kapitel wird dem Warschauer Ghetto und dem jüdischen Widerstand gewidmet. Eine grosse Karte der Eisenbahnen zeigt die Linien, auf denen die Deportation stattfand, und erinnert daran, dass viele der verschleppten Menschen bereits während der Reise in den Waggons, zusammengepfercht wie Vieh, den Tod fanden.
Die Geschichte wird aber nicht einfach mit Hilfe von Dokumenten, Modellen oder Videos nacherzählt oder neu erweckt. An jedem Abschnitt muss der Besucher sich mit bestimmten Fragen auseinandersetzen. Ab und zu steht er vor einem Modell, das die Historiker und Forscher in den Büros der Museumsplaner zeigt. Mittels eines Audiosystems beraten sie über die Fragen, welche sich die zukünftigen Besucher wohl stellen werden, wie beispielsweise: "Wie haben bloss so viele Menschen Hitler blindlings glauben können ?" Diese potentiellen Fragen werden im fiktiven Büro durch die Vorführung von adiovisuellen Dokumenten jener Zeit beantwortet.
Da das gesamte Museum auf dem Konzept beruht, den Besucher aktiv einzubinden, muss er auch eine Kopie des Tors von Auschwitz durchschreiten. Ein schwaches Licht erhellt von fern die Baracken, dem Kamin eines der vier Verbrennungsöfen entsteigt Rauch. Die düstere, unmenschliche Atmosphäre des Ortes wurde in jeder Hinsicht nachempfunden. Und wieder steht der Besucher vor einer Entscheidung: er muss durch einen von zwei Tunnels gehen. Über dem einen lautet das Schild "arbeitsfähig", über dem anderen "Kinder und andere"; damit soll an die Auswahl erinnert werden, die am Eingang zu den Todeslagern stattfand. Beide Tunnels führen in einen Raum, den Saal der Erinnerung, in dem an den Wänden mehrere Videobildschirme angebracht sind. Auf jedem von ihnen sieht und hört man Zeugen, die von ihren Erfahrungen im Verlauf der Schoah berichten.
Am Ausgang steht der Besucher plötzlich vor einer elektronischen Wand, auf der folgende Frage in verschiedenen Sprachen erscheint: Wer trug die Verantwortung ? Die Fanatiker ? Die blindlings Gehorsamen ? Die Intoleranten ? Die Bigotten ? Die Verantwortlichen in der Politik ? Die Schweigenden ? Die Antwort erscheint mehrsprachig und in Farbe: DU TRÄGST DIE VERANTWORTUNG !
Das "Museum of Tolerance" beschränkt sich nicht ausschliesslich auf eine Reihe von technisch sehr hochstehenden Ausstellungen, sondern bietet viel mehr. Es handelt sich um ein eigentliches Studien- und Dokumentationszentrum, das neben den multimedialen Studios (30 Arbeitsplätze und 700 Stunden Videofilm zu den Überlebenden) über Archive (die Originalbriefe von Anne Frank, von Raoul Wallenberg ausgestellte Pässe, das vom SS-Chefarzt des Vernichtungslagers Majdanek unterzeichnete Bekenntnis usw.), eine bedeutende Bibliothek (ausführliche Dokumentation über antisemitische Propaganda), Klassenzimmer, einen Vorlesungssaal mit 300 Plätzen und ein Auditorium mit 150 Plätzen, das für die Vorführung von Filmen, für Konferenzen und Seminare ausgerüstet ist, einen Buchladen und ein Geschäft mit Souvenirs und jüdischen Kultgegenständen verfügt; besonders erwähnenswert ist ausserdem die streng koschere Cafeteria, in der man warme und kalte Fleischgerichte bestellen kann. Das Museum ist am Schabbat, während den jüdischen und den offiziellen Feiertagen geschlossen. Am Freitag und vor jüdischen Festen ist es nur bis 13.00 Uhr geöffnet.
Der zeitgenössischen externen Architektur des Gebäudes entspricht ein ultramodernes Inneres; dazu gehört auch ein Platz, welcher der Erinnerung gewidmet ist und in dem die Namen aller Todeslager der Nazis, aller Ghettos, aller Städte und aller Konzentrationslager auf einer Mauer eingraviert wurden. Eine riesige Menorah symbolisiert den Neubeginn jüdischen Lebens nach der Schoah. Das "Museum of Tolerance" masst sich nicht an, die Welt von ihren Vorurteilen und von ethnischem und Rassenhass zu befreien.
Seine Bedeutung liegt aber in der direkten und unmittelbaren Gegenüberstellung von allem, was die menschliche Würde betrifft, und unseren persönlichen Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Die Herausforderung des Museums besteht darin herauszufinden, wie es auf die Einstellung und die Herzen der Menschen wirkt, ob es sie beeinflusst und eine positive Veränderung ihrer geistigen Haltung herbeiführen kann. In dieser Umgebung wird die soziale Dynamik der interethnischen Beziehungen ausgelotet, hier wird die individuelle Wahrnehmung des Mitmenschen in Frage gestellt und verändert.
Los Angeles bietet viele Attraktionen, doch ein Besuch der "Stadt der Engel" wäre unvollständig ohne einen Abstecher zum "Beit Hashoah - Museum of Tolerance".

Beit Hashoah
Museum of Tolerance

9786 WEST PICO BLVD
LOS ANGELES
Öffnungszeiten:
Sonntag: 11.30 - 17.00 Uhr
Montag-Donnerstag: 10.00 - 17.00 Uhr
Freitag: 10.00 - 13.00 Uhr