Die Kunst des Nullfortschritts | |
Von Emmanuel Halperin, unserem Korrespondenten in Jerusalem | |
Auf halber Strecke zwischen der Unterzeichnung des unheilvollen Abkommens von Oslo und den kommenden Knessetwahlen dreht sich die Regierung Rabin im Kreise. Das Scheitern der Abkommen lässt sich nicht mehr anzweifeln, das Scheitern der Wahlen ist vorprogrammiert: was bleibt anderes übrig als auf der Stelle zu treten ? Die Regierung muss trotz allem die Illusion erwecken, vorwärtszuschreiten, voranzukommen. Dies bleibt ihre einzige Aufgabe, die sie in einer verwirrenden und widersprüchlichen Art zu erfüllen versucht, in der Hoffnung, ein "Deus ex machina" werde ihr gnädig gestimmt sein und ihr in letzter Minute aus der Patsche helfen.
Dies scheint allerdings sehr unwahrscheinlich: je mehr Zeit vergeht, desto weniger scheint auch Syrien beispielsweise in einen Kompromiss einzuwilligen. Die Verhandlungen der Botschafter in Washington wurden nach einer Reise von Christopher in den Nahen Osten wieder aufgenommen, doch sie befinden sich wieder an dem wenig vielversprechenden Punkt, den sie Ende 1994 vor ihrer Unterbrechung erreicht hatten. Der "Fortschritt", dessen sich der amerikanische Staatssekretär rühmte, stellt folglich nur einen Neuanfang bei Null dar. Die Syrer werden ein Abkommen nur dann akzeptieren, wenn es mit einer massiven amerikanischen Wirtschaftshilfe verbunden ist, was angesichts der derzeitigen Einstellung im Kongress von Washington ausgeschlossen ist: ein Terroristenstaat, der darüber hinaus in grossem Rahmen Drogenhandel betreibt, besitzt nur geringe Aussichten, vom amerikanischen Steuerzahler auch nur einen Cent zu erhalten. Unter diesen Umständen kann natürlich bis in alle Ewigkeit über "Sicherheitsvorkehrungen" diskutiert werden, wenn man davon ausgeht, dass die Regierung Rabin - im Gegensatz zu ihren Versprechungen - bereit ist, den Golan, den gesamten Golan abzutreten. Die Golanhöhen allein ? Das steht noch nicht einmal fest. Die Syrer verlangen einen parallel geführten, symmetrischen militärischen Rückzug mit Entmilitarisierung und Zonen, in denen die Truppen reduziert werden; für sie fällt die Mittellinie mit der ehemaligen Grenze zusammen, die vor der Besetzung des Golans bestand. Israel müsste demnach ihre militärische Präsenz in einem Teil Hochgaliläas reduzieren, um General Assad zufriedenzustellen. Dies alles ist extrem unrealistisch, da ein bedeutendes Hindernis im Weg steht: die öffentliche Meinung in Israel. Gemäss den Umfragen lehnen mindestens zwei Drittel der Israelis ein Abkommen mit Syrien ab, wenn dafür der Golan als Preis gezahlt werden muss. Daher wird diskutiert, was in Wirklichkeit auch nicht die schlechtere Lösung ist. Im Zusammenhang mit den Palästinensern ist das Unheil allerdings schon geschehen und wird immer belastender. Nach dem entsetzlichen Attentat von Beit Lid versuchte die Regierung die Gemüter mit Hilfe einer Pseudolösung zu beruhigen, die sie "die Trennung" nennt. Dabei geht es darum, entlang der ehemaligen Demarkationslinie, die zwischen 1949 und 1967 als Grenze diente und nur wenige Kilometer von den Küstenstädten entfernt verläuft, ein bedeutendes und komplexes militärisch-polizeiliches Aufgebot bereitszustellen, um die Einreise von Arabern nach Judäa und Samaria einzuschränken, zu prüfen und zu kontrollieren. Stacheldraht ? Nicht überall, da dies zu kostspielig und in der gegenwärtigen Situation auch nicht wirksam wäre: der Gazastreifen ist von einer Absperrung dieser Art umgeben, was die Terroristen nicht daran gehindert hat, Hunderte von Kilo Sprengstoff für einen neuen Anschlag mit Autobombe - diesmal in Beer Schewa - hineinzuschmuggeln. Im letzten Moment konnte das Attentat dank der Geistesgegenwart einiger Polizisten innerhalb des israelischen Territoriums, nicht an der Grenze, verhindert werden. Der "Trennungsplan" sieht dennoch einige Stacheldrahtabschnitte, neue Strassen, Kontrollposten, Patrouillen, Polizeihunde und eine gesamte elektronische Ausrüstung vor, die den Spezialisten zwei Aussagen entlocken: viel zu teuer (die Einrichtung kostet über 1 Mrd. Dollar) und nur bis zu einem gewissen Grad effizient. In Wahrheit ist man sich durchaus bewusst, dass man gegen ein Selbstmordkommando nicht viel ausrichten kann. Die Bevölkerung muss aber beruhigt werden, wenigstens unternimmt man den Versuch dazu. Schlimmer noch ist es, dass dieser Trennungsplan dem Eingeständnis der politischen Niederlage gleichkommt. Er entspricht einer künstlichen Wiederherstellung der ehemaligen Grenzlinie, die eigentlich nur dem Waffenstillstand mit Jordanien diente und von Abba Eban, einem notorischen Friedenskämpfer, "Grenze von Auschwitz" genannt worden war, und versetzt die gesamte jüdische Bevölkerung der Gebiete, d.h. fast 150'000 Menschen, in ein psychologisch gefährliches "Jenseits". Diese neue, konkret durch Wachtürme verkörperte Grenzlinie hat mit der Chinesischen Mauer nichts gemeinsam, sondern wird vor Ort die eventuelle Grenze zwischen Israel und einem palästinensischen Staat bereits unauslöschlich prägen, was durchaus den Wünschen der israelischen Linken entspräche. Aussenminister Yossi Sarid von der Partei Meretz, ein enger Mitarbeiter Rabins, hat ohne zu Zögern erklärt, ein palästinensischer Staat werde in Kürze, nach der in den Osloer Abkommen vorgesehenen Übergangsperiode, ins Leben gerufen werden. Rabin protestierte schwach gegen diese Aussage und erklärte, diese Worte würden seine Partei nicht binden. Die ganze Welt erkennt aber sehr wohl, dass Rabin seit über zwei Jahren genau dieses Programm der Meretz zur Anwendung bringt und nicht dasjenige der Arbeitspartei. Die Bekämpfung des Terrorismus dient als Rechtfertigung für das Projekt der "Trennung", da die Regierung ganz offensichtlich darauf zu verzichten scheint, Druck auf die palästinensischen Behörden auszuüben, damit diese eingreift oder zumindest etwas gegen die Extremisten der Hamas-Bewegung unternimmt. Es tritt immer klarer zutage, dass Arafat nicht nur unfähig ist, in diesem Sinne zu handeln, sondern auch nicht die geringste Absicht dazu hegt. Seine Reaktion auf ein Attentat oder einen von Israel vereitelten Anschlag bleibt sich immer gleich: der PLO-Chef bedauert diese Gewaltakte nicht, er beschränkt sich darauf, ihre Urheber dafür anzuklagen, dass sie die israelischen Zugeständnisse verzögern, wie beispielsweise die Befreiung von Gefangenen oder den freien Verkehr zwischen Gaza und Cisjordanien. Diese Attentate hindern wiederum Frau Aloni, eine weitere Ministerin aus den Reihen der Meretz, nicht daran, territoriale Konzessionen Israels ins Auge zu fassen... im Negev ! Dies bedeutet, dass es für dieses Regierungsmitglied nicht einmal ausgeschlossen ist, dass als Gegenleistung für den Frieden mit den Palästinensern Gebiete abgetreten werden, über die Israel unbestreitbar die Souveränität besitzt. Nur ein Gefühl des Festgefahrenseins oder der Frustration angesichts der auswegslosen Situation kann diese Flucht nach vorn erklären. Auch in einem weiteren Bereich sind keine Fortschritte zu verzeichnen, obwohl Israel auf einer festen Zusage seitens der PLO beharrt hatte: es geht um die Aufhebung der berüchtigten Charta, welche Israel jede Daseinsberechtigung abspricht und sogar die Existenz des jüdischen Volkes leugnet. Arafat soll auch gesagt haben, die Charta werde nach der Wahl eines palästinensischen Rates in den Gebieten endlich abgeändert. Dieser Rat wird aber zu einer solchen Änderung nicht befugt sein, selbst wenn seine Mitglieder dies wünschen. Zutreffend ist vielmehr das Gegenteil: der "Informationsminister" der palästinensischen Behörde hat eine Broschüre über das "Recht auf Rückkehr" der palästinensischen Flüchtlinge herausgegeben, in der die Bestimmungen der Charta einfach wiederaufgenommen werden. Von der israelischen Regierung wird auf diese Tatsache nicht einmal hingewiesen. Desgleichen werden die Worte des als "gemässigt" bezeichneten palästinensischen Verhandlungsteilnehmers Nabil Shaath verschwiegen, der bestätigt, Israel müsse die Rückkehr von "mindestens hundert- bis zweihunderttausend Flüchtlingen von 1948 nach Galiläa" akzeptieren. Keine Fortschritte ebenfalls im politischen Dialog, keine mögliche Entwicklung auf militärischer Ebene - "wir führen einen eigentlichen Krieg gegen die Terroristen in Judäa, Samaria und Gaza", schreibt der General mit der Befehlsgewalt über die zentralen Gebiete -, kein Durchbruch in Sicht: dies erklärt, weshalb einige israelische Entscheidungsträger die Phase der Autonomie überspringen und sofort einen Schritt weitergehen möchten, um mit der PLO eine definitive Regelung des Problems auszuhandeln, was nach Ansicht von Sarid die Schaffung eines palästinensischen Staates bedeutet. Dieser Nullfortschritt bei der verzweifelten Suche nach einer Lösung, die einer Utopie oder einem völligen Mangel an Verantwortungsgefühl gleichkommt, verstimmt die öffentliche Meinung, die ihre Unzufriedenheit noch kaum zum Ausdruck bringt, da sich noch keine konkreten Entscheidungen aus dem endlosen Gerede, den sogenannten Verhandlungen, ergeben haben. Die Gefahr liegt anderswo. Sie hängt mit der Verschlechterung des Ansehens von Israel bei seinen Nachbarn zusammen. Linke wie rechte Parteien geben es zu: jedes Gespräch mit der arabischen Welt ergibt sich aus und beruht auf dem Bild, das sich die arabischen Verantwortlichen von der Macht und der Entschlossenheit des jüdischen Staates machen. Nun fordert Ägypten, 17 Jahre nach dem Friedensschluss mit Israel, mit einer vor wenigen Jahren noch unvorstellbaren Beharrlichkeit die Unterzeichnung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen durch Jerusalem, obwohl es für jedermann offensichtlich ist, dass die israelische Atompolitik in diesem Stadium der Entwicklungen im Nahen Osten und angesichts der immer zahlreicheren Gefahren, insbesondere des Potentials, über das der Iran möglicherweise in naher Zukunft verfügen wird, nicht diskutiert werden kann. Die Haltung Ägyptens erstaunt weltweit durch ihre Brutalität: es fehlte wenig und sie hätten mit der Faust auf den Tisch gehauen. Hier muss der israelischen Regierung ihre klare und feste Position zugestanden werden, welche die Forderung der Ägypter rundweg ablehnte. Das Symptom ist jedoch vorhanden und sollte zu denken geben im Hinblick auf die Unzuverlässigkeit jeder Verhandlung und jeder Lösung in dieser unruhigen Region. Die Anerkennung der Rechte aller anderen unter Vernachlässigung seiner eigenen hindert Israel daran, sich endlich anerkennen zu lassen. Eine Politik der Schwäche bewirkt nur noch grössere Schwäche. |