Den Hass bekämpfen | |
Von Roland S. Süssmann | |
Die kleine Welt des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles stellt ein eigentliches Bienenhaus mit zahlreichen und sehr unterschiedlichen Aktivitäten dar. In ihrem Kampf gegen den Rassismus und den Antisemitismus greift diese überaus wichtige Institution überall dort ein, wo Hass und Diskriminierung auf fruchtbaren Boden fallen. An ihrer Spitze steht neben dem Direktor Rabbiner Marvin Hier auch Rabbiner ABRAHAM COOPER>, Vizedirektor, Mitbegründer und in einem gewissen Sinn der Praktiker des Centers.
Das Simon Wiesenthal Center hat sich die Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus zum Ziel gesetzt. Wie gehen Sie dabei ganz konkret vor ? Wir leben ja hier in einer Demokratie, in einem Land, in dem die Rede- und Meinungsfreiheit rechtlich verankert sind. Es ist aus diesem Grund sehr schwierig, Gesetze gegen den Hass zu schaffen und einen Menschen wegen seinen Ansichten zu verfolgen. In den Ländern, welche antirassistische Bestimmungen besitzen, ist dieses Problem aufgrund dieser Gesetzgebung übrigens auch noch nicht gelöst worden. Dennoch unternimmt das Wiesenthal Center in Amerika, Kanada und ein wenig überall in der Welt riesige Anstrengungen, um den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus zu fördern und zu ermutigen. In bestimmten Fällen muss es sich nach Kräften bemühen, die zuständigen Regierungsstellen auf ihre Fehler hinzuweisen oder sie zur Erfüllung ihrer Pflicht zu zwingen. Als steuerpflichtige Bürger und als Minderheit sind wir in einer Demokratie berechtigt, von den Hütern des Gesetzes und der Gerechtigkeit einen umfassenden Schutz zu erwarten. Ein Teil unserer Arbeit besteht darin, die Anzahl der Vorfälle zu registrieren und dann im Rahmen des Gesetzes dagegen vorzugehen. So versuchen wir gegenwärtig die kanadische Polizei davon zu überzeugen, eine besondere Einsatztruppe zur Bekämpfung der Verbrechen des Hasses, wie wir sie nennen, zu schaffen. In den Vereinigten Staaten hat der FBI unter der Leitung ihres neuen Chefs Louis Freeh eine Beobachtungseinheit ins Leben gerufen. Eine der ersten Entscheidungen von L. Freeh in seiner Funktion als FBI-Chef bestand in der Einsetzung einer bislang in der Geschichte der USA einmaligen Beobachtungstruppe, deren Arbeit aus dem Festhalten der Vorfälle und der Registrierung der rassistischen Gruppierungen diesseits und jenseits des Atlantiks bestand. Einige Monate später hatte der FBI in den Vereinigten Staaten allein schon 8000 Vorfälle notiert. Louis Freeh reiste persönlich nach Deutschland, um diese Zahlen bekanntzugeben und die deutschen Behörden anzuhalten, in Deutschland agierende rassistische Gruppierungen wirksamer zu bekämpfen. Vor kurzem nahm ich an einer von der europäischen Sektion des Wiesenthal Centers organisierten Tagung in Oxford teil. Eine der Reden wurde von Dr. Paul Wilkenfeld gehalten, einem der berühmtesten britischen Experten im Bereich des Terrorismus. Er erklärte, im Verlauf des Jahres 1993 seien 132'000 rassistische Vorfälle in England verübt worden, davon 32'000 mit Gewaltanwendung. In Grossbritannien stellt sich heute die grosse Frage, ob ein Verbrechen des Hasses, d.h. ein rassistisches Vergehen, in Wirklichkeit existiert und ob es Opfer fordert. Für die Polizei stellen ein Mord, eine Vergewaltigung oder ein Angriff ernsthafte Ermittlungsobjekte dar, doch was geschieht mit einem Hakenkreuz an der Synagoge von Manchester oder einem Kreuz, das in Südkalifornien angezündet wird ? Die Diskussion wird auf elementarste Elemente reduziert, denn zahlreiche Menschen behaupten, ein körperlicher Angriff sei strafbar, jedoch im Grunde nichts anderes als eine Form der Aggression. Der Aspekt des Rassenhasses wird völlig ausgeklammert ! Unsere Arbeit besteht folglich darin, eine auf die Politiker, die Polizei, die Medien usw. ausgerichtete aufklärerische Aktivität zu entfalten. Das Ziel unserer Bemühungen ist klar: wir wollen, dass die Regierungen jede Form des Antisemitismus und der ethnischen Verbrechen gesetzlich bestrafen, und zwar nicht weil es sich um Übergriffe, sondern weil es sich um Verbrechen des Hasses handelt. Wir kommen auf diesem komplexen Gebiet nur langsam voran. So wie die Gesetzgebung von Land zu Land und von Demokratie zu Demokratie verschieden ist, so unterscheiden sich auch die Einstellungen stark voneinander. In Europa werden sie durch die Verantwortung der Staaten in bezug auf die Ereignisse des zweiten Weltkriegs beeinflusst. Wir wissen um die besondere Verantwortung Deutschlands, die Weigerung Österreichs, seine Schuld zuzugeben, die Kollaboration in Frankreich usw. Es geht eigentlich darum, ein Netz für die internationale Rechtshilfe, für den Kampf gegen rassistische Gruppierungen einzurichten und die jüdischen Gemeinden in aller Welt zu schützen. Neben den konkreten Aktionen, die Sie in aller Welt durchführen, beschäftigen Sie sich auch mit grundlegender Erziehung und Aufklärung. Wie wird diese Arbeit aufgenommen ? Wir erzielen oft ganz erstaunliche Resultate. Zahlreiche Polizeikorps besuchen das Museum of Tolerance, und vor kurzem haben wir acht der höchsten Verantwortlichen des FBI empfangen. Immer mehr Institutionen, die direkten Kundenverkehr haben, fordern ihre Angestellten auf, unser Museum zu besichtigen und mit uns Kontakt aufzunehmen. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Raum Los Angeles 90 Sprachen gesprochen werden und täglich 120 bis 150 Subkulturen aufeinanderstossen. Information und Aufklärung betreffend Vorurteile und vorgefasste Meinungen sind von grösster Bedeutung. Wir leben in einer Gesellschaft, die mit zahlreichen Prioritäten auf gesetzlicher Ebene konfrontiert wird, und rassistische Verbrechen, Antisemitismus oder die Verleugnung der Schoah stellen für den Gesetzgeber, vielleicht gar für den einfachen Bürger, keine absolute Priorität dar. Für uns Juden geht es um etwas ganz anderes. Unsere Anstrengungen auf gesetzgeberischer Ebene sind zwar sehr wichtig, doch in meinen Augen ist es wirklich grundlegend, dass wir mit all unseren Unterschieden akzeptiert und vor allem respektiert werden. Es ist unmöglich, die Leute zu ändern, doch man kann sie zum Denken anregen. Ich muss auch zugeben, dass ich nicht an das gute Herz des Menschen glaube. Was zählt, ist ihr Verhalten und die Tatsachen. Können Sie konkrete Resultate vorweisen ? Ich möchte das Beispiel der Skinhead-Bande mit 15 weissen Jugendlichen erwähnen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die grösste Kirche der Schwarzen in Los Angeles in die Luft zu jagen und den wichtigsten schwarzen Pastor der Stadt zu ermorden. Sie wurden von der Polizei verhaftet, als sie einen mit Sprengsatz versehenen Brief an einen Rabbiner verschicken wollten. Aufgrund ihrer Jugend wurden die meisten von ihnen nicht ins Gefängnis gesteckt, was uns damals zum Handeln zwang. Wir organisierten für sie ein dreitägiges Seminar. Zu Beginn schickten wir sie für einen halben Tag ins Gefängnis, was ihnen nicht im geringsten behagte. Danach zeigten wir ihnen den Film Schindlers Liste und das Museum of Tolerance, und zuletzt haben wir ein Treffen mit den Personen organisiert, die sie umbringen wollten. Die zwei Begegnungen von je anderthalb Stunden fanden hinter verschlossenen Türen statt, die eine mit einem Priester, die andere mit einem Rabbiner, denn ich bin überzeugt, dass ein Vorurteil oder ein Mythos am besten dann gedeiht, wenn man die Wirklichkeit nicht kennt und dem anderen nie begegnet ist. Es gibt nichts einfacheres als den Antisemitismus, die Vorurteile gegenüber den Juden und den jüdischen Werten dort am Leben zu erhalten, wo es keine Juden gibt. Dasselbe gilt für die alltägliche Information. Jahrelang zeigten die Fernsehstationen Abend für Abend den Davidstern im Zusammenhang mit den Aggressionen in Gaza oder im Libanon. Eine nicht sensibilisierte Person, die immer wieder mit diesen Informationen konfrontiert wird, kommt mit der Zeit zu der Überzeugung, dass alles, was in irgendeiner Art und Weise mit dem Davidstern in Zusammenhang steht, nur negativ und gewalttätig sein kann. Die Verantwortung des Simon Wiesenthal Centers, aber auch die kollektive Verantwortung liegt nicht nur in der Bekämpfung vorgefasster Meinungen und der Bemühung, diese Vorurteile zu vermindern. Heute, im Zeitalter der unmittelbaren Kommunikation, der Flugzeuge, Videos und des E-Mails müssen wir überall in der Welt, sowohl in Indonesien als auch in Japan, China und Europa, Partner finden, die uns bei der Kommunikation mit der einheimischen Bevölkerung und dadurch bei unserer erzieherischen Tätigkeit helfen können. Die Tatsache, zur besten Sendezeit am Radio oder im Fernsehen zu erscheinen, reicht nicht aus. Niemand ändert seine Meinung nach einem einfachen Interview, selbst wenn Millionen von Menschen es gleichzeitig sehen. Diese Art von Werbung dient nur dazu, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, und erst dann ist es möglich, interessante und fundierte Informationen zu vermitteln. Als unabhängige Institution mit erzieherischem Ziel können wir Filme herstellen und überall dort, wo wir Partner finden, Ausstellungen veranstalten. So haben wir beispielsweise in Beijing eine Ausstellung über die Schoah auf Chinesisch organisiert. Wir müssen also ständig über die letzten Neuigkeiten informiert sein, um sofort reagieren zu können. In meinem Büro verfüge ich über eine Ausrüstung, dank der ich alle schlechten Nachrichten als erstes erhalte und auf dieser Grundlage sofort intervenieren kann. Vor kurzem brachte die grosse japanische Zeitung "Marco Polo" einen Grundsatzartikel heraus, in dem die Schoah verleugnet wurde. Wir haben unmittelbar darauf reagiert und waren dabei so wirksam, dass die genannte Zeitung schliessen musste. Dieser Vorfall wurde von allen Medien weltweit kommentiert, machte Schlagzeilen und diente als Beispiel. In den Vereinigten Staaten hat eine jüngst veröffentlichte Studie gezeigt, dass Schwarze zweimal stärker zu antisemitischen Äusserungen neigen als Weisse, insbesondere wenn es sich um junge Leute mit höherer Bildung handelt. Dennoch hat man den Eindruck, als ob dieses Phänomen von einer Mauer des Schweigens umgeben sei, als ob es nicht existierte oder kaum von Bedeutung sei. Schon nur die Erwähnung des Themas scheint den Kampf gegen die rassistische Behandlung der Schwarzen zu gefährden. Wie sieht es in Wirklichkeit damit aus ? Kenneth Timmerman, der berühmte Experte für den Mittleren Osten, hat eine Untersuchung für das Wiesenthal Center durchgeführt, die ihn in verschiedene Länder der Region führte, darunter nach Damaskus, Amman und Gaza, wo er mehreren Persönlichkeiten aus der Welt des islamischen Extremismus begegnete. Aus den verschiedenen Gesprächen ergab sich eindeutig, dass der Judenhass, die Ablehnung und die Verleugnung jeder Rechtmässigkeit des Judentums als moralischer Wert, der Juden als Menschen und als Volk, dessen Existenzberechtigung sie schlichtweg ablehnen, einen grundlegenden Faktor im gegenwärtigen Kampf des Islams darstellen. Der islamische Antisemitismus gilt überdies als ein Thema, das von der Presse oft verschwiegen wird. Radikale Ideen, deren Ursprung in der Dritten Welt liegen, fallen in Europa und in den USA oft auf fruchtbaren Boden, ganz besonders an den Universitäten. Dasselbe trifft auch auf den islamischen Fundamentalismus zu, für dessen Thesen und darin enthaltenen Extreme die Öffentlichkeit sehr empfänglich ist. Leider herrschen heute an den Universitäten sehr starke Spannungen zwischen den schwarzen Studenten, den Afroamerikanern und den jüdischen Kommilitonen, die früher nicht existierten. Sie sind in erster Linie auf die Tatsache zurückzuführen, dass die schwarzen Studenten Vorlesungen in "schwarzen Studienfächern" besuchen, in denen bestimmte schwarze Akademiker falsche Anschuldigungen verbreiten und behaupten, die Juden hätten eine entscheidende Rolle im Sklavenhandel gespielt. Sie verwenden dieses Gleichnis, um ihren Hass gegen ein ihrer Überzeugung nach rassistisches Amerika zum Ausdruck zu bringen und vertreten diese Theorien in der Hoffnung, sich wichtig zu machen. Diese neue Wirklichkeit hat viel Furcht und Unruhe unter den jüdischen Studenten überall in den USA hervorgerufen, vor allem in der Gegend von Boston und in Südkalifornien. Man muss sich darüber im klaren sein, dass es sich um ein ganzes Gedankengebäude handelt, das die Spaltung zweier Gemeinschaften bezweckt, die sich traditionsgemäss sehr nahe stehen. Leider ist die gegenwärtige Missstimmung sehr tiefgreifend und die Dinge stehen sehr schlecht. Ein grosser Teil der demagogischen Thesen besteht in der Tat aus folgenden Aussagen: "Es wird immer nur von der Schoah der Juden gesprochen, doch die Schoah der Schwarzen, die niemand erwähnt, erreichte ein viel grösseres Ausmass, und im Verlauf der Sklaverei starben sehr viel mehr Schwarze als Juden. Unsere Leiden waren bei weitem bedeutender als diejenigen der Juden". In Wirklichkeit stehen wir nicht nur vor einer negativen Einstellung gegenüber den Juden. Das Ziel besteht darin, der gesamten schwarzen Gemeinschaft eine Art institutionalisierte Unterdrückung weiszumachen. Es soll sich der Gedanke durchsetzen, dass jedes Problem, mit dem ein Schwarzer in Amerika konfrontiert wird, seine wahren Wurzeln im Rassismus besitzt. Um diese Thesen glaubhaft zu machen, wird der Antisemitismus als Arbeitsgrundlage und Informationsträger verwendet. Es soll aber dennoch eingeräumt werden, dass die Situation an den Universitäten zwar sehr ernst ist, dass aber die beiden Gemeinschaften auf einigen anderen Gebieten doch noch fruchtbare Beziehungen pflegen, wie z.B. auf politischer und sozialer Ebene. Heben wir hervor, dass sich innerhalb der Gemeinschaft der Schwarzen Stimmen gegen die Theorie der Tyrannisierung, des institutionalisierten Rassismus und des Antisemitismus erheben. Auf diese Leute weisen die schwarzen Demagogen jedoch sogleich mit dem Finger und bezeichnen sie als "Onkel Tom". Das Problem ist gravierend, denn nur die Schwarzen selbst können wirksam gegen die Verbreitung dieser Ideen vorgehen und sie zurückweisen. Dazu müssen sie sich bewusst werden, dass sie von Männern wie Farrakhan oder Conrad Muhammad manipuliert werden. Die Juden können nur eines unternehmen: sie müssen versuchen, die Wahrheit durch Information und Aufklärung an den Tag zu bringen. Wir haben kürzlich ein kurzes, zehn Punkte umfassendes Pamphlet herausgegeben, das wir an allen Universitäten in den USA verteilen und in dem wir die historischen und richtigen Antworten auf die wichtigsten Anschuldigungen der schwarzen Antisemiten gegen die Juden geben. Dieses Papier mit dem Titel "Historische Tatsachen versus antisemitische Thesen, die Wahrheit über die Juden, die Schwarzen, die Sklaverei, den Rassismus und die Bürgerrechte" endet mit einem langen Auszug aus einem Interview mit dem verstorbenen Dr. Martin Luther King Jr. aus dem Jahre 1965, der mit den Worten beginnt: "Wie ist Antisemitismus bei den Schwarzen möglich, da unsere jüdischen Freunde ihr Engagement für den Kampf der Schwarzen und die Freiheit konkret bewiesen haben, sowohl durch persönlichen Einsatz als auch durch bedeutende finanzielle Beiträge und ihre moralische Unterstützung..." Darüber hinaus haben wir erstmals die Unterstützung der mächtigen "American Historical Association" erhalten, die in einem Pressecommuniqué vom 8. Februar 1995 die Verwendung gefälschter historischer Tatsachen zur Erniedrigung einer bestimmten ethnischen, kulturellen oder religiösen Gruppe entschieden verurteilt. In diesem speziellen Fall lehnt sie die Verbreitung der Lüge ab, die Juden hätten sowohl in Afrika als auch in Amerika eine entscheidende Rolle bei der Ausbeutung der Versklavung von Schwarzen und den damit verbundenen Geschäften gespielt. Im Sommer 1994 haben Sie in Ihrer ausgezeichneten Zeitschrift "Response", die mit einer Auflage von 402'000 Exemplaren erscheint, einen besonderen Artikel zum Thema der Verbreitung von Hass, Gewalt, Antisemitismus und der Verleugnung der Schoah mit Hilfe interaktiver Informationsnetzwerke - wie beispielsweise Internet - und einer ganzen Reihe von elektronischen Informationsbulletins veröffentlicht; diese Systeme werden heute auch "Daten-Highway" genannt und können in keiner Weise überwacht werden. Wie entwickelt sich diese Propaganda und mit welchen Mitteln können Sie dagegen ankämpfen ? Diese neue Technologie kann und muss in positiver Weise eingesetzt werden. Zur Veranschaulichung meiner Forderung weise ich Sie darauf hin, dass wir am kommenden 8. Mai, dem fünfzigsten Jahrestag der Beendigung des zweiten Weltkriegs, ein Live-Interview per Internet mit Simon Wiesenthal organisiert haben. Diese Stellungnahme kann in Textform auf allen am Internet oder Partegy angeschlossenen Computern abgerufen werden, und die Benutzer können über die Tastatur auch direkte Fragen an Simon Wiesenthal stellen, der sie sofort beantwortet. Wir gehen davon aus, dass schätzungsweise zwei Millionen Menschen an diesem interaktiven Ereignis teilnehmen werden. Unser Center ist dabei eine Datenbank auf den Markt zu bringen, dank der jede interessierte Person sich rund um die Uhr per Computer über die Schoah, den Antisemitismus im allgemeinen, den Rassismus oder die Verbreitung des Hasses informieren kann. Dieser neuen Technik mangelt es nicht an konstruktiven Aspekten, die man nur richtig verwenden und einsetzen muss. Man muss sich aber auch im klaren sein, dass diese Informations-Superhighways allen Gruppierungen des Hasses die nie dagewesene Möglichkeit bietet, ihr Gift, ihre Texte und Videofilme in einem immer grösseren Umkreis ohne irgendwelche Einschränkungen weiter zu verströmen und sich dabei vor allem an ein junges, leichtgläubiges Publikum zu richten. Im Rahmen von Internet ist es zum Beispiel möglich, eine Nachricht an ein genau definiertes Publikum unter Wahrung absoluter Anonymität zu senden. In seinem heutigen Konzept begünstigt das System sämtliche Missbräuche. In den Vereinigten Staaten existieren mehrere Zugangsstellen zu den Computerhighways. Wir stehen mit diesen Stellen in Kontakt, damit sie uns zusichern, dass den Gruppen des Hasses, die von den gebotenenen Möglichkeiten profitieren, der Zugang verweigert wird. Nur so können wir den Schaden in Grenzen halten. Neben der Übertragung von Text ermöglicht Internet auch die Vermittlung von Bildern. Derjenige, der diese Bilder auf seinem Computer abruft, ist nicht in der Lage zu beurteilen, ob es sich um authentisches Material oder um eine Montage handelt. Das System ist so perfekt, dass nicht einmal ein Fachmann zwischen echten und falschen Fotos unterscheiden kann. Selbstverständlich werden die Gruppierungen, welche die Schoah verleugnen, nicht davor zurückschrecken, diese Methode einzusetzen, um die Geschichte anhand gefälschter Dokumente umzuschreiben. Es geht nicht nur um die Übertragung unbewegter Bilder oder Montagen, sondern auch um Video- und normale Tonfilme. In der Annahme, dass diese Systeme sich ohne irgendwelche Einschränkungen oder offizielle Kontrolle weiterentwickeln, bedeutet dies, dass jede aufgrund der rassistischen Färbung ihrer Botschaft aus den elektronischen Medien verbannte Gruppe hier regelmässig und ungestraft zu Worte kommen kann. Zur Zeit wird z.B. Videomaterial, dessen Ausstrahlung wir verhindern konnten, umgearbeitet, um per Computer verbreitet zu werden. In den USA ist Internet dabei, zu der Forschungsbibliothek, der Datenbank zu werden, die man für jede Frage konsultiert. Das Institute for Historical Review, die bedeutendste amerikanische Institution, welche die Negation der Schoah verkündet, hat bereits heute bekanntgegeben, dass sie ihre Datenbank über interaktive Computer verbreiten wird. Überlegen wir doch einmal, was das konkret bedeutet. Ein Jugendlicher, der eine Forschungsarbeit über die Schoah schreibt, wird nicht mehr in die Bibliothek gehen. Er schaltet seinen Computer ein und sieht nach, welche Quellen auf dem System zur Verfügung stehen. Er wird natürlich auf unsere Datenbank stossen, doch er findet auch die Daten derjenigen, welche die Schoah verleugnen. Denn obzwar solche Bücher in den USA frei herausgegeben werden, waren sie doch in den Bibliotheken und Buchhandlungen von nebensächlicher Bedeutung. Dies ist auf dem Computer nun nicht mehr der Fall, da diese Propaganda mit keinem Vermerk versehen wird, die sie an ihren Platz weist. Jede Information wird genau gleich behandelt, so dass sie für den Benutzer einfach einen anderen Standpunkt darstellt. Was unternehmen Sie konkret zur Einschränkung dieser neuen Gefahren ? Dies ist von Land zu Land unterschiedlich. In Kanada existieren präzise Gesetze gegen jede rassistische oder von Hass motivierte Tat, was meiner Ansicht nach den europäischen Ländern als Beispiel dienen könnte. Wir haben unsererseits die Justizbehörden aufgesucht und sie gebeten, die Personen, welche die Computersysteme zur Verbreitung von Hass, Rassismus und Antisemitismus verwenden, ebenso und kraft derselben Gesetze zu verurteilen wie für die Verbreitung jeder anderen Form von Aufrufen zu Gewalt und Hass. Es handelt sich nicht um die Verabschiedung neuer Gesetzestexte, sondern um die Einteilung der neuen Technologie in den Geltungsbereich der bestehenden Bestimmungen. Wir haben diesen Prozess in Gang gesetzt, doch er wird, glaube ich, viel Zeit in Anspruch nehmen. Kann die Verwendung der Informatik für die Verbreitung von Antisemitismus mit technischen Mitteln verhindert werden ? Seit der Erfindung des Telefons und dem ersten obszönen Anruf sind fast 75 Jahre vergangen. Zu Beginn dieser Belästigungsform wussten die Opfer nicht, an wen sie sich wenden, wie sie dagegen ankommen und vor allem wie sie sich schützen konnten. Heute wird ein anonymer Anrufer dank der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Telefongesellschaften innerhalb von drei Sekunden identifiziert... Die Verbreitung von Hass mit Hilfe des Computers entspricht in gewissem Sinne den anonymen obszönen Anrufen. Das Problem tauchte nur vier Jahre nach der Entwicklung des Systems auf, und fast jede Woche werden neue Techniken entwickelt. Die eigentliche Antwort liegt nicht ausschliesslich in der Gesetzgebung, welche natürlich einen wichtigen Aspekt bei der Lösung des Problems darstellt, sondern vor allem in der Technologie. Wir müssen uns an diejenigen wenden, welche die Daten-Highway entwickelt haben und sie um die Erarbeitung eines Instruments ersuchen, dank dem der Benutzer sich gegen diese gefährlichen Botschaften schützen oder zumindest ihre Urheber ausfindig machen, sie zur Verantwortung ziehen und sie gerichtlich belangen kann. Vielleicht müsste eine Computerfunktion eingerichtet werden, welche die anonyme Verbreitung von Information unmöglich macht. Dieser auf ethischer, juristischer und technischer Ebene sehr ausgedehnte Problemkreis geht sehr viel weiter und umfasst mehr als einfach nur Hass und Antisemitismus. Ich denke dabei an Kinderpornographie sowie an andere moralische Fragen. Wir stehen am Anfang einer umfangreichen, weltweiten Debatte, und ich bin überzeugt, dass die Aufgabe des Wiesenthal Centers in diesem Bereich darin besteht sicherzustellen, dass das Problem des Hasses sowohl auf Regierungs- als auch auf nationaler Ebene weiterhin im Zentrum der Diskussion steht. Wir haben die verschiedenen Arten angetönt, wie der Antisemitismus in Amerika und in der Welt im allgemeinen verbreitet wird. Glauben Sie, dass wir gegenwärtig einem Anstieg des Antisemitismus beiwohnen ? Ich denke nicht. Ohne die Bedeutung der Tätigkeit der Antisemiten herabsetzen zu wollen, möchte ich das Beispiel der USA erwähnen, wo mindestens 250 rassistische Gruppen des Hasses bekannt sind. Die Experten gehen davon aus, dass 25'000 Amerikaner sich aktiv mit diesen Thesen identifizieren. Diese Zahl ist natürlich beeindruckend, doch sie beweist, dass diese Gruppierungen es in einer Bevölkerung von über 200 Millionen nicht geschafft haben, ihre Thesen einer grossen Mehrheit nahezubringen, obwohl sie einige Wahlerfolge erzielt haben. In einer Gesellschaft, in der das Recht auf Meinungsfreiheit heilig ist, trennt nur eine sehr schmale Linie die Marginalisierung dieser Gruppierungen von ihrer Anerkennung. Dazu gesellt sich die Tatsache, dass die Menschen aufgrund dieser Meinungsfreiheit ihre oft negativen Gefühle gegenüber den Minderheiten sehr viel offener zum Ausdruck bringen, als dies noch vor einer Generation der Fall war. Dies widerspiegelt sich auch im täglichen Leben, in den Beziehungen zwischen Angestellten eines Unternehmens der Privatindustrie oder des Staates und in den Schulen. Das Simon Wiesenthal Center hat unter der Leitung von Dr. G. Margolis unter dem Namen Toleranzinstrumente mehrere Strategien ausgearbeitet, und es nehmen regelmässig grosse Gesellschaften oder Regierungsstellen mit uns Kontakt auf, um eine Lösung zu ihren Schwierigkeiten zu finden. In den Vereinigten Staaten werden wir mit einem grossen nationalen Phänomen konfrontiert, das auf zahlreiche Faktoren zurückzuführen ist, wie zum Beispiel die Wirtschaftskrise, aber auch den Missbrauch der Meinungsfreiheit, die übermässige Unterdrückung und meiner Ansicht nach auch die Nachlässigkeit, mit der man verbale Gewalt durchgehen lässt. Wir haben daher eine gute und eine schlechte Nachricht: die gute lautet, dass der Wunsch der Gruppierungen des Hasses, eine massive Gefolgschaft zu finden, sich nicht erfüllt hat; die zweite besteht darin, dass die allgemeine Einstellung unserer Gesellschaft gegenüber Minderheiten oder andersartigen Menschen zynischer zum Ausdruck kommt und eine Atmosphäre der Konfrontation schafft, was sich unter keinen Umständen positiv auf den Erhalt und die Weiterentwicklung der Demokratie auswirken kann. |