Was kauft der japanische Konsument ?
Von Roland S. Süssmann
Im Rahmen unserer Serie über die Beziehungen zwischen Israel und den Ländern des Fernen Ostens haben wir Tokio erneut besucht, um die Veränderungen in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten zu untersuchen. In der israelischen Botschaft haben wir uns mit MAX LIVNAT unterhalten, dem Botschaftsminister für Wirtschaftsfragen, der eine Schlüsselfunktion in den Beziehungen der beiden Staaten besitzt. Livnat wurde in Belgien geboren und absolvierte seine diplomatische Laufbahn im Bereich der Wirtschaft; er bekleidete hintereinander einen Posten in Kinshasa (1970-72), Paris (1972-76) und London (1980-84) und hält sich seit 1990 in Tokio auf. Seine Auslandaufenthalte wurden von längeren Zeitabschnitten unterbrochen, die er wieder in Israel verbrachte, wo er als Direktor der Aussenwirtschaft für Asien, Afrika und Ozeanien tätig war, sowie als stellvertretender Generaldirektor des Ministeriums für Industrie und Handel. Max Livnat ist verheiratet und Vater von einem Sohn und drei Töchtern, sowie ausserdem - eine grosse Seltenheit für einen israelischen Diplomaten - Ritter der französischen Ehrenlegion.


In der Finanzwelt ist man der Ansicht, "Japan stecke in einer Krise". Trifft dies auch für die Handelsbeziehungen zwischen Israel und Japan zu ?

Als ich 1990 in Japan eintraf, zeigten sich alle sehr skeptisch, als ich die Ansicht vertrat, Japan stünde vor einer Rezession. Heute ist das Ende der Krise absehbar. Damit sie aber wirklich überwunden werden kann, müssen eine Reihe von Faktoren gewährleistet sein: verstärktes Vertrauen auf dem Arbeitsmarkt, eine gewisse Stabilität und eine Erneuerung der Lagerbestände für Ausrüstungs- und Gebrauchsgegenstände, die bald erschöpft sein werden.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern wurden durch die Krise überhaupt nicht in Mitleidenschaft gezogen, sondern haben sich im Gegenteil in den vergangenen zwei Jahren sehr gut entwickelt. Dennoch bleibt noch viel zu tun. Der erste Fortschritt psychologischer Natur konnte nach dem Beginn der Madrider Konferenz festgestellt werden, auch wenn er nicht als aufsehenerregend zu bezeichnen ist, da die Japaner als sehr vorsichtige und skeptische Menschen gelten. Man muss sich bewusst sein, dass Israel für Japan immer ein Land war, mit dem es "vorsichtige Beziehungen zu unterhalten gilt". Japan wurde nämlich durch die Erdölkrise von 1973 stark erschüttert. Dieses Trauma hat während langer Zeit ihr politisches und wirtschaftliches Verhältnis zu Israel geprägt. Anlässlich der Madrider Konferenz hatte ich die Gelegenheit, die Friedensperspektiven und die eventuell sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu erläutern. 1993 haben bedeutende Ereignisse zu einer Verstärkung der Beziehungen zwischen beiden Ländern geführt. Im November 1992 begleitete ich den stellvertretenden Minister des MITI (Ministerium für internationalen Handel und Industrie), des bedeutendsten - und daher sehr einflussreichen - Ministeriums neben dem Finanzministerium, auf einer Reise nach Israel. Dieser Besuch stellte einen Wendepunkt in unseren Beziehungen dar, da im Verlauf der Reise eine Reihe von Entscheidungen gefällt wurden. Diese Vereinbarungen wurden Punkt für Punkt verwirklicht. Schimon Peres kam daraufhin im Dezember 1992 nach Japan, und zum ersten Mal gab die japanische Regierung offiziell ihre Ablehnung des arabischen Boykotts bekannt. Anfang 1993 haben wir das allererste Abkommen unterzeichnet, das je zwischen den beiden Ländern abgeschlossen wurde. Es betraf die Regelung der Doppelbesteuerung. Im März 1993 reiste eine Delegation des nationalen Büros für Technologie (das dem MITI angehört) nach Israel - auch dies eine Premiere -, um dort die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet von Forschung und Entwicklung zu untersuchen. Diese Delegation besuchte das Institut Weizmann, das Technion und einige Unternehmen der Spitzentechnologie, um die Bereiche festzulegen, in denen eine mögliche Kooperation sinnvoll wäre. Im April des vergangenen Jahres begleitete ich den Präsidenten des KEIDANREN (Arbeitgeberverband), der angesehensten und einflussreichsten Organisation Japans, und die Vertreter der neun grössten japanischen Unternehmen, die allein einen Gesamtumsatz von fast einer Trillion (tausend Milliarden !) US-Dollar erreichen, nach Israel. Ich glaube nicht, dass Israel je neun Vertreter von Unternehmen mit derart hohen Umsatzzahlen empfangen hat. Im Juni 1993 besuchte unser Wirtschafts- und Industrieminister erstmals Japan, indem er einer Einladung seines japanischen Amtskollegen Folge leistete. Diese Art von Einladung stellt für die Wirtschaft natürlich ein äusserst positives Zeichen dar. Darüber hinaus kamen eine israelische Delegation aus dem Bereich der Spitzentechnologie sowie eine Gesandtschaft der Finanzwelt nach Japan. Trotz der Krise hat sich der Handel in beide Richtungen entwickelt. 1993 betrugen die israelischen Exporte laut den offiziellen japanischen Statistiken US$ 776 Millionen (davon ca. US$ 500 Mio Diamanten, wobei der Restbetrag auf chemische Produkte, medizinisches Material, elektronische Graphikinstrumente und Spitzentechnologie im allgemeinen entfällt), was einem Zuwachs von 13% im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Die japanischen Exporte nach Israel erreichen US$ 1,05 Mia, hauptsächlich im Automobilsektor.


Lassen alle diese positiven Elemente nicht die Erwartung zu, dass die Zukunft ausserordentlich vielversprechend sein wird ?

Wir sollten übertriebene Euphorie vermeiden. Natürlich sind zahlreiche ermutigende Faktoren vorhanden. Die grossen Unternehmen, die ich im April 1993 nach Israel begleitet hatte, senden nun regelmässig ihre Fachleute zu uns, um die Möglichkeiten vor Ort gründlicher auszuwerten und zu beurteilen. Wir befinden uns aber erst in einer Phase der genauen Beobachtung. Nach der Unterzeichnung der Abkommen werden erst die Erfahrungen und die tatsächlichen Ergebnisse über die Präsenz der Japaner in der israelischen Wirtschaft entscheiden. Es existieren drei objektive Parameter, welche das Interesse der Japaner an einer Zusammenarbeit mit uns wecken. Erstens: die israelische Wirtschaft erfreut sich bester Gesundheit. Während sich Europa, die Vereinigten Staaten und Japan noch über die Krise beklagen, erlebt Israel einen wirtschaftlichen Aufschwung. Alle Indikatoren sind positiv. Zweitens: wenn die Schaffung einer unabhängigen palästinensischen Zone mit internationalen Mittel finanziert wird, müssen grosse Arbeiten durchgeführt werden (Strassen, Flughäfen, Elektrizität, Telekommunikation usw.), und die japanischen Unternehmen möchten sich ein Stück aus diesem Kuchen herausschneiden. Drittens: sollte sich in dieser Region je ein echter Frieden durchsetzen, der zum Austausch von Gütern und Personen, zu diplomatischen Beziehungen, zu einem kulturellen Austausch führt, kurz, zu Kontakten, wie sie heute zwischen der Schweiz und Frankreich bestehen, wissen die Japaner sehr wohl, dass Israel als einziges Land über eine moderne Infrastruktur im Bank- und Telekommunikationsbereich verfügt, die als zentraler Ausgangspunkt eine Schlüsselfunktion für alle Länder der Region erhalten wird. Unsere Beziehungen haben sich von der Phase der grundsätzlichen Fragen weiterentwickelt zu geschäftlichen Diskussionen. Heute befassen wir uns mit praktischen Problemen (Finanzierungsbedingungen, Verwaltung, Rechtsanwälte usw.)


Wenn sich die Dinge aber in der Realität nicht so ergeben, d.h. es kommt weder zu einer palästinensischen Zone, noch zu einem echten Frieden mit den arabischen Ländern zustande ?

Die Beziehungen werden dann, denke ich, im selben Rahmen weiterbestehen. Wir werden weiterhin von der Tatsache profitieren, dass Israel zufriedenstellende wirtschaftliche Ergebnisse aufweist. Ich persönlich bleibe äusserst vorsichtig, ich glaube nicht an eine rasche, weitreichende Entwicklung. Es sind zwei Möglichkeiten zu erwarten: entweder entwickelt sich in Israel alles wie bisher weiter, oder Israel wird vollständig in den Wirtschaftsraum des Mittleren Ostens integriert.


Mit welcher Einstellung sollten sich die israelischen Unternehmen mit dem japanischen Markt auseinandersetzen ? Welche Ratschläge würden Sie ihnen geben ?

Es ist eine Sache, Technologie in Osteuropa zu verkaufen, wo Israel als "Grossmacht der Spitzentechnologie" bezeichnet werden kann; der Verkauf von Spitzentechnologie an Japan steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt ! Um sich auf dem japanischen Markt zu behaupten, reicht es nicht aus, nur gut oder sehr gut zu sein - man muss absolut hervorragende Qualität liefern. Will man in Japan verkaufen, muss man ein konstant hohes Niveau halten: Produktequalität, Dienstleistungen, Lieferfristen. Man muss sich klar sein, dass es nicht einfach ist, Spitzentechnologie in einem Land zu verkaufen, das über Unternehmen wie Toshiba, Matsushita usw. verfügt. Daher ist es unerlässlich, Marktlücken ausfindig zu machen, in denen die israelische Industrie hochspezialisiert ist, dabei denke ich insbesondere an Industrie- und Automatisierungssoftware sowie an die Biotechnologie. Die israelischen Unternehmen müssen auf die Bedürfnisse des japanischen Konsumenten eingehen und flexibel genug sein, um ihre Produkte zu perfektionieren und zu "japanisieren", da diese ohne spezielle Abänderungen nicht verkauft werden können. Darüber hinaus muss jede Firma die notwendigen Anstrengungen unternehmen, um sich hier niederzulassen, da dies kostspielig und zugleich auch langwierig ist und eine Reihe von praktischen Massnahmen notwendig macht.


Welche Massnahmen gehören dazu ?

Zunächst muss man genaue Marktstudien durchführen, was in Zusammenarbeit mit einem japanischen Partner die Gründung eines Büros in Japan voraussetzt. Dies ist natürlich recht teuer. Eine Alternative besteht darin, sich an einen japanischen Verteiler zu wenden, doch dieser Schritt muss gründlich durchdacht werden, da jeder Wechsel von einem Geschäftspartner zu einem anderen in der japanischen Geschäftswelt misstrauisch betrachtet und als Zeichen von mangelnder Loyalität bewertet wird; ausserdem spricht es sich sehr schnell herum. Danach sind während drei Monaten ununterbrochene Anstrengungen erforderlich, bevor die ersten Resultate sichtbar werden. Am Gesellschaftssitz in Israel muss unbedingt eine einzige Person (mit der Unterstützung eines Mitarbeiters, der mit jedem Detail der Dossiers bestens vertraut ist) die Verantwortung übernehmen und sich ausschliesslich mit dem japanischen Markt befassen. Die Japaner akzeptieren keine Entschuldigung: Streiks, Militärdienst oder andere Probleme sind für sie kein Thema. All diese Elemente müssen von Anfang an in die Arbeitspläne integriert werden. Verspätungen werden nicht geduldet. Dieser grundlegende Aspekt erklärt in weitem Ausmass die Schwierigkeiten bei den Beziehungen zwischen beiden Ländern. Die jüdische und die japanische Mentalität unterscheiden sich diametral voneinander. Die grossen israelischen Unternehmen wie beispielsweise ISCAR (siehe SHALOM Vol.X), SCITEX, ROBOTEC usw. haben die notwendigen Anstrengungen unternommen und haben sich an die Kriterien für Qualität, Dienstleistungen und Lieferfristen "à la japonaise" angepasst. Sie waren in Japan auch ausserordentlich erfolgreich.


Könnte man abschliessend sagen, dass Sie die Zukunft der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Japan und Israel mit realistischem Optimismus betrachten ?

Man darf nicht ausser acht lassen, dass Israel neben seinen ausgezeichneten Forschungsinstituten auch über eine Überkapazität an Forschern verfügt. Darüber hinaus besitzen eine Reihe von Unternehmen Forschungsabteilungen und Produkte, die zu den besten der Welt gehören. Israel zeichnet sich in der Forschung aus, Japan in der Koproduktion und im internationalen Marketing. Joint Ventures, in denen alle diese positiven Aspekte vereinigt werden, können sämtlichen Beteiligten nur zum Erfolg gereichen. Wenn Japan von unseren Kapazitäten in der Forschung profitiert, kommt Israel in den Genuss der noch fehlenden Finanzierungsmittel und erhält Zugang zum grossen internationalen Handelsplatz nicht nur in den Vereinigten Staaten und in Europa, sondern vor allem auch in Asien.