Gerettete Schätze | |
Von Jennifer Breger * | |
Während einem Gefecht zwischen Serben und Kroaten wurde die Synagoge von Dubrovnik 1992 vom Geschützfeuer zerstört. Der Präsident der jüdischen Gemeinde bat das Museum der Yeshiva University um Unterstützung bei der Bergung von Kultgegenständen der Judaika aus Dubrovnik. Nach komplizierten Verhandlungen und eingehender Planung trafen ca. 50 Stücke im Museum in New York ein; seit Mai dieses Jahres werden sie ausgestellt, zusammen mit Fotografien von Dubrovnik und den Stätten, die für Juden von Bedeutung sind. Die Aufnahmen stammen von Edward Serotta, dem Direktor des zentraleuropäischen Forschungs- und Dokumentationszentrum für jüdische Gemeinden, und zeigen die Schönheit dieser befestigten Stadt aus dem Mittelalter, die auch als "die Perle der Adria" bezeichnet wird.
Offensichtlich wurden neun wichtige Gebäude dieser Stadt und zahlreiche Wohnungen durch die Gefechte vollständig zerstört und 563 von 824 Häusern schwer beschädigt. Das Dach der Synagoge wurde direkt von einer Granate getroffen, welche die Stützstruktur und die Ziegel beschädigte, sowie auch einen Teil der Mauer des Westgiebels. Dubrovnik, früher auch unter dem Namen Ragusa bekannt, blickt auf eine reiche Geschichte zurück. Bis 1808 war Dubrovnik ein autonomer maritimer Stadtstaat, der unter venezianischem oder osmanischem Protektorat stand. Nach einigen Jahren unter französischer Kontrolle wurde er Teil des Österreichischen Reiches. Seit dem 20. Jahrhundert gehört die Stadt zum neuen Staat Jugoslawien. Als Tor zwischen der Adria und dem Balkan und als Handelszentrum besass Dubrovnik schon immer grosse Bedeutung. Von der Niederlassung von Juden in der Stadt wird ab 1324 berichtet. Die Juden kamen nach 1492 aus Spanien, und die Stadt wurde zu einem bedeutenden Durchreisezentrum für diejenigen, die in den Balkan weiterreisten. 1532 kam es zu einer neuen Einwanderungswelle von Juden aus Griechenland und Albanien. Obwohl die Juden im Verlaufe der Jahre unter zahlreichen Ausweisungen und Restriktionen zu leiden hatten, wuchs die Gemeinde bis zum Anbruch des 19. Jahrhunderts immer weiter an. Die jüdischen Kaufleute erwiesen sich als begabte Vermittler und Unternehmer im Handel auf den Strassen durch den Balkan, die sich von Konstantinopel und Saloniki bis nach Italien erstreckten. Dubrovnik war auch die Heimat bedeutender jüdischer Kultfiguren wie beispielsweise Amatus Lusitanus, der als einer der bekanntesten Ärzte und medizinischen Gelehrten des 16. Jahrhunderts gilt. Obwohl die jüdische Gemeinde zahlenmässig nie besonders gross war und 250 Seelen nie übertraf, handelte es sich um eine wichtige Gemeinschaft, was auch die Ausstellungsgegenstände aus der Synagoge bezeugen; an ihnen wird auch die Vermischung geografischer und kultureller Einflüsse deutlich. Die Synagoge selber, die im Zentrum des ehemaligen jüdischen Ghettos stand, wurde ursprünglich wohl im 14. Jhd. erbaut, im 17. Jhd. jedoch rekonstruiert. Heute gibt es in Dubrovnik nur noch eine winzige Gemeinde, die weniger als 15 Juden umfasst. Die Ausstellung im Museum der Yeshiva University besteht hauptsächlich aus Textilien und Silber, ausserdem aus drei Torah-Rollen. Gemäss der Überlieferung in der Gemeinde gelangten diese Torah-Rollen 1492 durch sephardische Juden, die aus Spanien ausgewandert waren, in die Synagoge von Dubrovnik. Eine von ihnen wurde auf das 13. oder 14. Jhd. datiert. Die Gelehrten, welche die hebräischen Schriftstücke analysiert haben, sind sich über den Herkunftsort nicht einig, einige vermuten ihn in Frankreich, andere in Spanien, doch alle bestätigen ihr hohes Alter, die sie zu einigen der ältesten überlieferten Torah-Rollen der Welt macht. Die Jüdische Nationalbibliothek in Jerusalem besitzt ein Schriftstück, das vor 1336 in Barcelona für Rabbi Nissim Gerondi, bekannt unter dem Namen "Ran", geschrieben wurde. Nach den Angaben einer Silberplakette an ihrer Hülle wurde die Rolle 1336 von Rabbi Nissim selbst der "Kehillat Ya'akov"-Synagoge in Barcelona übergeben. Die Textilien aus der Synagoge widerspiegeln in besonderem Ausmass die wechselhafte Geschichte Dubrovniks und seiner Juden. Dank ihren geschäftlichen Beziehungen kamen die Juden aus Dubrovnik mit den modischsten Materialien und Stilrichtungen Europas in Kontakt. Vom Stil her gleichen viele von ihnen nichtjüdischen Textilien dieser Zeit. Für die im Gottesdienst eingesetzten Stoffe wurde oft sehr elegantes, stilvolles Material verwendet, das eingewobene Gold- und Silberfäden, ähnlich wie Kleider- oder Möbelstoffe, aufwies. Aufgrund der engen Beziehung zwischen Dubrovnik und Venedig erinnern viele Stoffe an italienische Modeströmungen. Zahlreiche der in der Ausstellung gezeigten Textilien wurden entweder in Italien hergestellt oder italienischen Originalen nachempfunden. Die meisten Stoffe weisen keine traditionellen jüdischen Dekorationsmotive auf wie z.B. Löwen, Säulen oder Kronen, wie wir es von Textilien aus Synagogen in Zentraleuropa sonst gewöhnt sind. Dafür zeigen sie stilisierte Muster in bunten Farben, mit Seide und komplizierten Webarten sowie verschiedenen Stickstichen und veranschaulichen auf diese Weise die Geschichte diverser Stoffarten in Italien und später in Frankreich, als dieses Land unter der Herrschaft von Ludwig XIV. die führende Stellung in der Textilherstellung übernahm; so sieht man beispielsweise einen "Me'il" (Torah-Decke) im sogenannten Pompadour-Stil aus dem Frankreich des 19. Jhd., der in dieser Zeit sehr beliebt war und nach der Mätresse des Königs benannt wurde. Andere Stoffe der Ausstellung weisen "orientalische" Motive auf, welche dem dekorativen Stil bei türkischen Textilien gleichen. (Der Einfluss der Türken kommt ebenfalls bei den wunderschönen geschnitzten Stäben an den Torah-Rollen zum Ausdruck.) Jede Generation der Juden aus Dubrovnik legte so die schönsten Textilien beiseite, zu denen sie als Händler Zugang hatten, um sie der Synagoge zu stiften. Gabriel Goldstein, der Kurator dieser herrlichen Ausstellung, betont, dass die jüdische Gemeinschaft Dubrovnik zwar klein war, aber modischen Geschmack aufwies und kosmopolitisch war. Da die Stoffe so kostbar waren, wurden oft Teile von ihnen mit der Zeit auf neuere und strapazierfähigere Textilien übertragen. Wie uns von vielen anderen Gemeinden bekannt ist, erlaubten die Rabbiner die Wiederverwendung von persönlichen Kleidungsstücken für Textilien der Synagoge, und der zentrale Teil eines Parochet scheint von einer Herrenweste zu stammen. Einige der älteren Stoffe der Dubrovniker Sammlung wurden im 16. Jhd. hergestellt, nachdem Juden infolge der Vertreibungen in Spanien und Portugal nach Dubrovnik gekommen waren. Ein aussergewöhnlich schöner Toraheinband aus dem frühen 17. Jahrhundert, verziert mit Blattranken und Trauben, zeigt die erhobenen Hände der Kohanim, ein Wappen mit einer Zypresse und einen drohend aufgerichteten Löwen; die Inschrift lautet: "Eliezer, Sohn Ysrael Maestros. Schütze und erlöse ihn". Daraus können wir schliessen, dass die Familie Maestro Kohanim waren, und tatsächlich wird ein Dubrovniker Händler namens Israel Maestro in zahlreichen Dokumenten zwischen 1660 und 1665 erwähnt. Er scheint bei einem Erdbeben in Dubrovnik um 1667 getötet worden zu sein, in dem insgesamt ungefähr 400 Menschen, darunter 37 Juden in Dubrovnik ums Leben kamen. Auch die Gegenstände aus Silber sind von besonderer Üppigkeit und weisen verschiedene, insbesondere italienische Einflüsse nach. Ein Paar gewölbter Rimmonim mit Blumenmotiven und Glöckchen aus der Mitte des 17. Jahrhunderts sind typisch für die eleganten Silbergegenstände aus Synagogen, die in Venedig sowohl für den eigenen Gebrauch als auch für den Export hergestellt wurden. Andere Dinge wurden in Dubrovnik selbst produziert, entstanden aber nach italienischen Vorbildern. Die Dubrovniker Gemeinde ahmte die italienische Sitte nach, sowohl eine Krone als auch passende Rimmonim gleichzeitig zur Verzierung der Torah zu verwenden; in der Ausstellung werden einige dieser Sets gezeigt, von denen alle, wie beispielsweise die Gewänder und Mitren der Priester, mit silbernen Tempelornamenten verziert sind. Die lokalen Handwerker waren offensichtlich mit Abbildungen des Tempels nicht vertraut, da die priesterlichen Röcke alle verkehrt herum hergestellt wurden. Viele der Toraheinbände entsprechen dem Modell, das in Italien als "Chatzi-keter" bekannt war, die Form einer flachen Krone besass und in Venedig hergestellt wurde. Ein in der Ausstellung gezeigter Einband dieser Art stammt aus Wien, 19. Jhd., nachdem Dubrovnik unter habsburgische Herrschaft gelangt war, und beweist die immer stärker werdende kulturelle Bindung der jüdischen Gemeinde an das österreichisch-ungarische Reich. Beim Besuch dieser Ausstellung werden einem nicht nur die Schönheit und die hervorragende handwerkliche Machart oder die verschiedenen Stilrichtungen der Gegenstände bewusst. Der Besucher wird vielmehr von Erleichterung und Verwunderung überwältigt, dass diese Stücke überlebt haben. Dies ist nämlich nicht das erste Mal im Verlauf dieses Jahrhunderts, dass die Schätze Dubrovniks der Zerstörung entkommen sind. Während des Zweiten Weltkriegs, als fast alle beweglichen Gegenstände aus der Synagoge in Split herausgerissen und auf dem Marktplatz verbrannt wurden, konnten die Besitztümer der Dubrovniker Synagoge dank der in unmittelbarer Nachbarschaft lebenden jüdischen Familie Tolentino gerettet werden. Die Erzählung Emilio Tolentinos betreffend die Ereignisse von 1941 berichtet von der Rettung der Gegenstände. "Immer noch verwirrt dadurch, dass sie unser Archiv durchwühlten, und ohne ihre wahre Absicht zu ahnen, wies ich auf meinen Tisch. Dort fanden sie den alten Pinkas, ein kostbares Dokument über das Leben und die Errungenschaften unserer Gemeinde im 17. Jhd, insbesondere nach dem schrecklichen Erdbeben, von dem Dubrovnik 1667 heimgesucht wurde, das die Synagoge aber verschont hatte. Sobald sie die Inspektion des Archivs beendet hatten, wollten die Deutschen die Synagoge sehen. Als sie den "Hechal" (Lade) erblickten, zwangen sie den Dolmetscher mit unflätigen Worten mich aufzufordern, ihnen "die Puppen" zu zeigen, wie sie die Torah-Rollen spöttisch nannten. Ich wartete auf die Übersetzung, um Zeit zu gewinnen, mich zu sammeln und eine überzeugende Antwort zu finden. Da ich wusste, dass alle kostbaren Dinge gut versteckt waren, konnte ich in aller Ruhe sagen, dass alles bereits von denjenigen mitgenommen worden war, welche die Synagoge acht Tage zuvor heimgesucht hatten. Diese Erklärung schien ihnen einzuleuchten." Interessanterweise stammt der gegenwärtige Präsident der Dubrovniker Gemeinde, Dr. Michael Papo, der für die Versendung der kostbaren Gegenstände aus der Synagoge nach New York verantwortlich ist, aus derselben Familie Tolentino, welche sie während des 2. Weltkriegs rettete. Nach den Worten Dr. Papos brachten seine Vorfahren die ersten Toroth aus Spanien nach Dubrovnik und gründeten die hiesige Gemeinde. Jeder Bericht über die Zerstörung und Rettung hebräischer Bücher und jüdischer Kultgegenstände widerspiegelt die Geschichte der Juden im Verlauf der Jahrhunderte. Die Verbrennung des Talmud in Paris im Jahre 1242 und in Italien um 1550 verkörpern zwei der schändlichsten Episoden. Wie könnte man die Konfiszierung jüdischer Kultgegenstände aus Silber vergessen, das Einschmelzen dieser Kostbarkeiten, um die Behörden "auszuzahlen", sowie die Gegenstände, die von den Juden unzähliger Gemeinden in ihren Häusern zurückgelassen werden mussten. Betrachtet man die Torah-Rollen dieser Ausstellung, die innerhalb unseres Jahrhunderts zweimal vor der Zerstörung gerettet wurden, erinnert man sich daran, wie eng das Schicksal vor allem der Torah-Rollen mit demjenigen der jüdischen Gemeinde verknüpft war, der sie gehörten. Da es für die Juden eine Pflicht ist, eine Torah und ihr Zubehör mit Ehrfurcht zu behandeln, sie zu vergraben und nicht wegzuwerfen usw, stellte sie für die Feinde der Juden immer ein bevorzugtes Ziel ihrer Zerstörungsarbeit dar; dies begann mit dem Befehl von Antiochus IV., von dem im Buch der Makkabäer berichtet wird, und setzte sich mit der Erfahrung der Nazi-Greueltaten in diesem Jahrhundert fort. Am besten wird die enge Verbindung von Juden und Torah-Rollen wohl durch das Martyrium von Hanina ben Teradyon veranschaulicht, die von den Römern bei lebendigem Leib, in eine Torah gehüllt, verbrannt wurde. Die Geschichten von der Zerstörung und diejenigen von der Rettung jüdischer Bücher und Gegenstände im Verlauf der Jahrhunderte sind zu zahlreich, um alle in diesem Artikel erwähnt zu werden. Ich möchte mit dem Bericht über ein Objekt abschliessen, das mit einer anderen Stadt des ehemaligen Jugoslawien in Verbindung steht. Schon vor 1990 zeugte die Geschichte der Haggada von Sarajewo in wundersamer Weise davon, wie sehr jüdische Bücher "ein eigenes Schicksal" besitzen. Diese sehr berühmte spanische Haggada des 14. Jhd. stammt wahrscheinlich aus Barcelona. Das Manuskript wurde wohl nach der Vertreibung 1492 nach Italien gebracht. 1609 befand es sich immer noch in Italien, da es Zeichen der italienischen Zensur aus dieser Zeit aufweist. Es steht nicht genau fest, wann und wie das Buch nach Sarajewo gelangte. Uns ist nur bekannt, dass ein Kind namens Cohen aus der sephardischen Gemeinschaft es 1894, genau 100 Jahre später, in die Schule brachte und verkaufen wollte, da sein Vater gestorben war und die Familie Geld brauchte. Auf diese Weise landete es im Nationalmuseum von Sarajewo und erhielt seinen Namen. Als Sarajewo 1941 von den Nazis besetzt wurde, sandten sie sofort einen Offizier ins Nationalmuseum, um das Manuskript zu konfiszieren. Glücklicherweise hatte der Direktor des Museums es sicherheitshalber in die Berge bringen lassen. Noch bemerkenswerter wird die Geschichte jedoch nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens und der darauffolgenden Vernichtung von Menschenleben und Besitztum. In Sarajewo wurden 1993 Tausende von jüdischen und islamischen Manuskripten von den bosnischen Serben im Orientalischen Institut zerstört. Die Nationalbibliothek wurde drei Tage lang mit Granaten beschossen, und über eine Million Bände, darunter Tausende von Manuskripten in Slowonisch, Arabisch, Persisch, Türkisch und Hebräisch, wurden vernichtet. Beim Beschuss der Bibliothek wurden das Dach und das Heizsystem in Mitleidenschaft gezogen, was zu einer Überschwemmung führte. Die Haggada von Sarajewo wurde durch einen muslimischen Archäologen und Kunsthistoriker gerettet, der unter schwerem Geschützfeuer sein Leben zur Rettung der Haggada aufs Spiel setzte. Er gab folgende Beschreibung der Ereignisse: "Der 6. Juni erwies sich als der schlimmste Tag in der Hölle von Sarajewo. An diesem Tag brannten die grössten Kasernen der Stadt, gleich neben dem Museum, in der innersten Kriegszone. Alle Gefechte und Artillerieangriffe fanden in Hörweite des Museums statt. Unter diesen dramatischen Umständen führten wir unsere Aktion durch. Wir betraten das Museum, ohne gesehen zu werden. Sechs Stunden lang suchten wir die Haggada an allen erdenklichen Orten. Wir brachen jedes Safe des Museums auf und fanden sie nirgends. Schliesslich gelangten wir in den Keller. Es war stockdunkel. Wir tasteten uns in der Finsternis vorwärts, und da fanden wir sie... Der Keller selbst stand unter Wasser, das schnell anstieg, da die Röhre der Zentralheizung von Geschossen durchlöchert wurden. Das Buch lag nur wenig höher als der Wasserstand zu diesem Zeitpunkt. Hätten wir die Haggada nur wenige Stunden später gefunden, hätte sie bereits im Wasser gelegen und wäre zestört worden." Dank Enver Imamovic wurde die Haggada gerettet und befindet sich heute angeblich in England. |