Eine "Zivilhochzeit" | |
Von Dr. Sergio Minerbi | |
Am 30. Dezember 1993 wurde in Jerusalem das "Grundlegende Abkommen über die schrittweise Umwandlung des Austauschs zwischen Vatikan und Israel in offizielle Beziehungen mit dem Ziel, diplomatische Beziehungen aufzunehmen" unterzeichnet. Die ganz eindeutig vorsichtige Formulierung dieses Berichts vom Pressedienst des Heiligen Stuhls beweist, dass jedes Wort abgewogen wurde; auf jüdischer Seite spricht man hingegen mit etwas Naivität, oft auch mit grossen Illusionen und Begeisterung von einem historischen Abkommen zwischen der katholischen Kirche und dem jüdischen Volk.
In der Präambel des in Jerusalem vom stellvertretenden Aussenminister Yossi Beilin und von Se. Claudio Maria Celli, dem stellvertretenden Staatssekretär für die Beziehungen zu anderen Ländern, unterzeichneten Abkommens steht insbesondere: "Im Gedanken an die besondere Eigenschaft und die universelle Bedeutung des Heiligen Landes, im Bewusstsein der einzigartigen Natur der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem jüdischen Volk, sowie des historischen Versöhnungsprozesses, des wachsenden gegenseitigen Verständnisses und der Freundschaft zwischen Katholiken und Juden...". Welche Versöhnung ist hier gemeint ? Welcher Gedanke in der Erklärung "Nostra Aetate" aus dem Jahr 1965, in der es heisst: "Die Kirche glaubt in der Tat, dass Christus, unser Friedensbringer, die Juden und die Heiden durch sein Kreuz und in seiner Person versöhnt und aus beiden eins gemacht hat", wird hier angesprochen ? Ungeachtet des feierlichen Tons der Präambel betrifft das Abkommen in erster Linie das internationale Recht; diese Ebene war vom Heiligen Stuhl auch vorgesehen und geplant worden. Man könnte gar noch weiter gehen und behaupten, dass das Abkommen erst möglich wurde, als die Kirche den theologischen vom politischen Bereich trennte. Bereits im Mai 1985 sagte die Kirche in den "Anmerkungen über die korrekte Darstellung der Juden und des Judentums in den Predigten und in der Katechese der katholischen Kirche": "Die Existenz des Staates Israel und seine politischen Entscheidungen müssen aus nichtreligiöser Sicht betrachtet und nur mit den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Rechts in Verbindung gebracht werden". Während des Golfkriegs, der von Papst Johannes Paul II. verurteilt wurde, baten die Juden von Rom in einem Manifest um die Anerkennung des Staates Israel durch den Vatikan. In einem langen Communiqué des Pressedienstes vom 25. Januar 1991 antwortete der Vatikan, dass eine De facto-Anerkennung bereits bestehe, dass aber die Hindernisse, welche die Entstehung diplomatischer Beziehungen verhinderten, rein juristischer und nicht theologischer Natur wären. Zu diesen Hürden zählte das Communiqué "die Präsenz Israels in den besetzten Gebieten und die Beziehungen zu den Palästinensern, die Annexion der heiligen Stadt Jerusalem sowie die Situation der katholischen Kirche in Israel und in den verwalteten Gebieten". Meines Wissens war es das erste Mal, dass der Heilige Stuhl das Problem der Situation der Kirche in Israel öffentlich ansprach. Durch seine eindeutige Trennung theologischer und politischer Themen ermöglichte der Vatikan den Kontakt mit dem Staat Israel. Der Vatikan befreite sich auf diese Weise vom christlichen Gedanken, der seit Jahrhunderten die Kirche als das "verus Israel", das echte Israel bezeichnet. Die Juden wurden dazu verdammt, in alle vier Himmelsrichtungen verstreut zu leben und bis in alle Ewigkeit herumzuirren, da sie Christus nie anerkannt haben. Diese Trennung der beiden Ebenen ist an sich positiv, lässt aber zahlreiche Probleme ungelöst. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wurden Sondervertreter ausgetauscht, und Schmuel Hada, ehemaliger israelischer Botschafter in Madrid wurde am 14. Februar 1994 als erster Vertreter Israels von Papst Johannes Paul II im Vatikan empfangen. Dies stellt zweifellos einen diplomatischen Sieg für Israel dar, der jedoch eine sehr viel grössere Bedeutung besässe, wenn dieser Empfang zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hätte. Welche Auswirkung hätte die Anerkennung durch die katholische Kirche gehabt, wenn sie unmittelbar nach der Gründung des Staates Israel 1948 erfolgt wäre ! Der Heilige Stuhl hat nun die Internationalisierung von Jerusalem gefordert und wünscht sich für die Heilige Stadt jetzt "einen anerkannten Sonderstatus auf internationaler Ebene". Zur Zeit hat es der Vatikan allerdings vorgezogen, die Diskussion über Jerusalem aufzuschieben, da er sie ganz offensichtlich in einem anderen Rahmen zu Ende führen möchte. Diese Haltung entspricht genau derjenigen des Papstes Benedikt XV., der Nahum Sokolow gegenüber erklärte, "die Frage der heiligen Stätten müsse mit den Grossmächten diskutiert werden". Da Jerusalem als ein "mulitlaterales" Problem angesehen wird, war diese Frage aus dem 1992 zwischen dem Vatikan und Israel eingeführten permanenten bilateralen Ausschuss ausgeklammert worden. Die Stadt gilt heute nicht mehr als Vorbedingung für jede Form des Dialogs und stellt daher auch kein Hindernis für die Normalisierung der Beziehungen zu Israel dar, auch wenn dieser Punkt nicht unter den Tisch gewischt wird. Der lateinische Patriarch Jerusalems, Se. Sabagh, teilte mir dazu mit, dass die Jerusalem-Frage in Anwesenheit aller betroffenen Parteien, d.h. der Palästinenser, der Moslems usw., diskutiert würde. Die Diskussion ist also noch lange nicht abgeschlossen und bleibt weiterhin aktuell, wie der "Osservatore Romano" in einem Artikel vom 1. Januar 1994 berichtet: "Was Jerusalem betrifft, sieht es der Heilige Stuhl als seine Pflicht und sein Recht an, auch in Zukunft - wie schon früher - gewisse Garantien auf internationaler Ebene zu verlangen". Dabei darf man nicht unbeachtet lassen, dass die "consecutio temporum" bei der Annäherung zwischen dem Vatikan und Israel auf diejenige zwischen der PLO und Israel folgt. Der in Madrid an der Konferenz von Oktober 1991 begonnene Friedensprozess hatte den Heiligen Stuhl nicht miteinbezogen. Bereits 1919 musste der Vatikan mit der traumatischen Erfahrung des Ausgeschlossenseins von der Versailler Friedenskonferenz fertigwerden. Um eine Wiederholung der Geschichte zu vermeiden, war der Vatikan bereit, einen bestimmten Preis zu zahlen und willigte in die Schaffung des bilateralen Ausschusses ein. Unmittelbar nach der Washingtoner Zeremonie mit Rabin und Arafat akzeptierte der Heilige Stuhl die Unterzeichnung des grundlegenden Abkommens vom 30. Dezember 1993 in Jerusalem. Vollständige und umfassende diplomatische Beziehungen wurden deshalb noch lange nicht eingeführt. Dazu muss das Abkommen erst von Johannes Paul II und von der Knesset ratifiziert werden. Es scheint offensichtlich, dass der Vatikan erst dann über die Aufnahme normaler Beziehungen entscheiden wird, wenn der Vertrag zwischen PLO und Israel zur Anwendung gelangt ist. Dieses Abkommen stellt zwar keine historische Versöhnung dar, beinhaltet aber einen Artikel (2) betreffend den Kampf gegen den Antisemitismus, in dem der Heilige Stuhl die Angriffe gegen Juden verurteilt. Die Kirche hat bereits den Antisemitismus in jeder Form abgelehnt und ihn gar als Sünde bezeichnet. Der Staat Israel hielt es für notwendig, in diesem Punkt in den spirituellen Bereich einzutreten und den Antisemitismus zu erwähnen, der in erster Linie die Juden der Diaspora betrifft. Hätte er nicht alle noch offenstehenden spirituellen Fragen zwischen der Kirche und den Juden klären sollen ? Aus dieser Perspektive wäre es beispielsweise nur schwer vorstellbar, dass Pius XII selig gesprochen wird; es scheint uns immer noch unverständlich, dass Edith Stein mit der Königin Esther verglichen werden kann; und schliesslich beweist das Vorhandensein der Kapellen, Kirchen und selbst des Kreuzes in den Vernichtungslagern, dass der Kampf um das Kloster in Auschwitz nicht abgeschlossen ist. |