Jüdische Frauen als Schreiber und Drucker | |
Von Jennifer Breger | |
Versuchen wir uns jüdische Frauen in der Vergangenheit vorzustellen, denken wir dabei nicht sofort an Schreiberinnen und Druckerinnen. Es gab in der Geschichte jedoch Jüdinnen, welche diese Tätigkeiten ausübten, und dieser Teil der jüdischen Vergangenheit ist es wert, genauer beleuchtet zu werden.
Jüdische weibliche Schreiber kopierten vor der Verbreitung der Druckerkunst religiöse Texte, wobei es sich hierbei nicht um die Tätigkeit eines traditionellen "Sofers" handelte. Gemäss der Halacha darf eine Frau nicht "Sofer" für Thora-Rollen, Mesusoth oder Tefillin sein. Der Talmud (Gittin 45b) scheint davon auszugehen, dass nur diejenigen, die zum Tragen der Gebetsriemen verpflichtet sind, auch befugt waren, geheiligte Schriftrollen zu verfassen. Es besteht keine Einigkeit darüber, ob diese Vorschrift auch Megilat Esther umfasst. Allem Anschein nach kopierte Sarah Oppenheim, Tochter von David Oppenheim, Oberrabbiner von Prag und Landesrabbiner Böhmens, der auch ein berühmter Buch- und Manuskriptsammler war, (seine Sammlung wurde später an die Bodelian Library in Oxford verkauft) zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Megillah, die von einigen Rabbinern für öffentliche Lesungen zugelassen wurde. Bibeln und rabbinische Texte durften jedoch von Frauen kopiert werden. Aus einer berühmten Kopistenfamilie, Anawim, im Rom des 13. Jahrhunderts stammte eine Kopistin namens Paula, deren Name auf verschiedenen Texten erscheint. Es existiert ebenfalls ein Pentateuch aus dem 14. Jahrhundert, das mit folgender Anmerkung einer Frau aus Sana'a, Jemen, versehen ist: "Verzeiht mir die Fehler, die ihr finden mögt, denn ich bin eine stillende Frau. Miriam, Tochter des Schreibers Benayahu". Eine andere Frau mit Namen Frommet Arwyller schenkte ihrem Mann 1454 eine Kopie des rabbinischen Kodexes Kitzur Mordechai. Auf dem Manuskript stand "Diese Kopie wurde 1454 von Frommet, Tochter des Arwyller, für ihren Mann Samuel Ben Moses angefertigt". Im Bereich der Druckerkunst gibt es keine religiösen Beschränkungen im Hinblick auf das Geschlecht, und jüdische Frauen waren schon bei den ersten hebräischen Druckerzeugnissen beim Drucken von Büchern beteiligt. 1477 lautete der Kolophon eines in Mantua gedruckten jüdischen Buches "Behinat Olam": "Ich, Estellina, die Frau des ehrenwerten Abraham Conat, schrieb dieses Buch 'Behinat Olam' mit der Hilfe von Jacob Levi von Tarascon". Estellina Conat hat das Buch (ein Werk über Ethik, das Gedaiah Ben Abraham Bedersi in der Mitte des 14. Jahrhunderts in Hebräisch verfasste) offensichtlich nicht selbst geschrieben. Sie kümmerte sich jedoch um den Druck und nahm auch selbst am Verfahren teil. Sie verwendete das Wort "schrieb", da es damals im Hebräischen noch keinen Begriff für Drucken gab. Bis ins 19. Jahrhundert arbeiteten Männer und ihre Ehefrauen oft gemeinsam in einer Druckerei; meist war gar die gesamte Familie daran beteiligt. Wenn der Mann starb, übernahm seine Frau in vielen Fällen den Druckereibetrieb. Ein frühes Beispiel dafür ist das zweite datierte hebräische Buch, das in Piove di Sacco bei Padua gedruckt wurde. Der erste Band der "Arba'ah Turim" von Jacob ben Asher wurde 1475 von Meshullam Cusi und seiner Familie gedruckt. Der Drucker starb bald darauf, doch seine Witwe Devorah übernahm zusammen mit seinen zwei Söhnen den Druck der beiden nächsten Bände. Nachdem die Söhne von den Behörden ins Gefängnis gesteckt worden waren, beendete Devorah den Druck des letzten Bandes allein. Auf der Rückseite brachte sie eine gereimte Klage über die Tragödien in ihrer Familie an. In Neapel wiederum leitete die Tochter von Joseph Gunzenhausen die Druckerei nach dem Tod ihres Vaters 1490. Uns sind viele Druckerinnen bekannt, die ihren Namen seit der Zeit von Estellina Conat auf den Titelseiten oder Kolophonen festhielten. In einer Liste werden über fünfzig aufgeführt, doch in Wirklichkeit waren es wohl noch viel mehr. Die genaue Zahl ist schwer abzuschätzen, da sehr viele hebräische Bücher im Verlauf der Jahrhunderte verloren gingen oder zerstört wurden, wenn ihre Besitzer des Landes verwiesen oder verfolgt wurden. Von weiteren Druckern wissen wir dank anderen Quellen, auch wenn ihre Bücher nicht mehr existieren. Juan de Lucena von Marrano wird als der erste hebräische Drucker auf der iberischen Halbinsel angesehen, auch wenn uns kein einziges Buch aus seiner Presse überliefert wurde. Dokumente der spanischen Inquisition belegen jedoch, dass er und vier seiner Töchter vor dem Jahr 1480 angeklagt wurden, im Dorf Montalban und in Toledo hebräische Bücher zu drucken. 1485 bekannte eine der Töchter vor den Inquisitoren, sie habe ihrem Vater beim Drucken hebräischer Bücher geholfen. "Ich klage mich an, strafbar geworden zu sein, indem ich meinem Vater geholfen habe hebräische Druckerzeugnisse herzustellen. Diese Sünde beging ich als Kind in meines Vaters Haus". Fast 50 Jahre später wurde eine Tochter zu lebenslänglicher Gefängnisstrafe verurteilt, nachdem sie ein ähnliches Geständnis abgelegt hatte. Uns ist nicht überliefert, ob Frauen in den meisten sephardischen Ländern am Druck von hebräischen Schriften beteiligt waren, obwohl sich in Salonika, Fez, Izmir und Adrianopolis bedeutende Zentren hebräischer Druckerkunst befanden. Dazu gibt es eine aufsehenerregende Ausnahme - Dona Reyna Mendes. Sie war die Tochter von Dona Gracia Mendes, der berühmten Geschäftsfrau und Philanthropin aus Marrano, die 1553 nach Konstantinopel kam und mit Don Joseph Naxos verheiratet war, einem der mächtigsten Männer im ottomanischen Reich. Als Dona Reynas Ehemann starb, beschlagnahmten die Behörden fast sein gesamtes Vermögen. Mit dem übrigen Geld richtete sie in Belvedere bei Konstantinopel eine Druckerei ein und zog zwei Monate später nach Kuru Cesme, eine Vorstadt von Konstantinopel. Sie gab mindestens 15 hebräische Bücher heraus. Von grosser Bedeutung ist die Tatsache, dass Dona Reynas Druckerei in den wenigen Jahren ihres Bestehens in Konstantinopel der einzige Betrieb dieser Art für alle Sprachen war und daher nicht auf die Unterstützung eines Druckerverbandes oder von Förderern zählen konnte. Es gab ab 1493 hebräische Drucker in Konstantinopel, doch sie hatten ihre Tätigkeit seither eingestellt. Als Dona Reyna starb, wurde die Presse stillgelegt, und bis ins Jahr 1638 wurden keine hebräischen Bücher mehr gedruckt. (Bis 1729 gab es in Konstantinopel auch keine türkische Druckerei). Später zählt die jüdische Druckerkunst Europas viele weibliche Drucker, und das Schicksal einiger von ihnen dient uns als "Spiegel" für das Leben jüdischer Frauen in der Vergangenheit. Am stärksten berühren unsere Herzen vielleicht die beiden Schriftsetzerinnen Ella und Gela. Sie waren die Töchter eines wandernden Druckers namens Moses, der sich zum jüdischen Glauben bekehrt hatte; er arbeitete zunächst als Drucker und besass später eigene Druckereien in verschiedenen Städten. 1696 fügte Ella, die im väterlichen Betrieb in Dessau arbeitete, folgende jiddische Reime in den Kolophon eines Bandes ein: "Diese jiddischen Zeichen setz' ich mit eigner Hand - Ella, Tochter des Moses aus Holland - ich bin erst neun und noch gar klein - sechs Kinder sind wir, doch ein Mädchen allein - findest du Fehler, dann denke daran - ein Kind war der Setzer, verzeihe mir dann". Im kommenden Jahr zog Ella nach Frankfurt an der Oder und arbeitete mit ihrem Bruder am Druck einer Ausgabe des Talmud. Einige Jahre später war ihre Schwester Gela Schriftsetzerin für ihren Vater in Halle. In ein 1710 gedrucktes Gebetsbuch schrieb sie: "Für dieses schöne Gebetsbuch mit eigenen Händen setzte ich die Lettern von Anfang bis Ende. Ich, Gela, Tochter des Druckers Moses und meiner Mutter Freide... Sie gebar mich und insgesamt zehn Kinder. Ich bin ein Mädchen noch, keine zwölfe." Von den zahlreichen Druckerinnen in Osteuropa möchten wir nur einige wenige erwähnen. In Lemberg (Lvov) waren im 19. Jahrhundert viele jüdische Frauen als Druckerinnen tätig; die Stadt wurde zu einem Zentrum für jüdische Druckerzeugnisse, die dann in ganz Osteuropa und im Balkan vertrieben wurden. Bis 1782, als die österreichischen Behörden den hebräischen Druckern der kleinen Stadt Zolkiev bei Lemberg befahlen, die Zensur zu lockern, hatte es in Lemberg keine hebräische Druckerei gegeben. Einer der Drucker in Zolkiev war Judith Rosanes, die alleine, vor seinem Tod mit ihrem Ehemann und auch mit verschiedenen ihrer Cousins druckte, die ebenfalls diesen Beruf ausübten. 1782 zog sie nach Lemberg und richtete sich hier einen Druckereibetrieb ein. Sie heiratete später Rabbi Hirsch Rosanes, einen berühmten Gelehrten und Rabbiner der Stadt. Sie gab insgesamt fünfzig Bücher heraus. Sie war in Wirklichkeit die erste jüdische Frau, die über einen längeren Zeitraum hinweg hebräische Bücher zu kommerziellen Zwecken druckte. Der Name Judith Rosanes war als Drucker hebräischer Texte so bekannt, dass mehrere Buchdrucker in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Behörden die Veröffentlichung chassidischer Bücher untersagten, ihren Namen verwendeten um vorzutäuschen, das Buch sei schon viel früher hergestellt worden. Die Ehefrauen zweier Cousins von Judith Rosanes arbeiteten nach dem Tod ihrer Männer auch als Druckerinnen in Lemberg: Chaya Taube, die Frau des Druckers Aharon Madpis, und Tsharni Letteris, Ze'ev Wolf Letteris' Ehefrau. Tsharni Letteris erhielt die offizielle Erlaubnis, 1793 nach Zolkiev zurückzukehren, und sie war dort während mindestens neunzehn Jahren als Druckerin tätig. Auch die Schwiegertochter und die Enkelin von Judith Rosanes leiteten Druckereien in Lemberg. Ihr Sohn aus erster Ehe war von 1799 bis 1827 in Lemberg als Drucker tätig. Als er starb, führte seine Frau Chawe den Betrieb weiter bis 1849. Nach ihrem Tod übernahm ihre Tochter Feige die Druckerei, und sie druckte bis mindestens 1854. Die berühmteste jüdische Druckerin Lembergs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Pesel Balaban. Zu Lebzeiten ihres Mannes war sie im Druckbetrieb sehr aktiv, doch erst nach seinem Tod baute sie die Druckerei aus und brachte qualitativ hochstehende Ausgaben von halachischen Texten heraus, wie z.B. den Schulchran Aruch. Zu den bekanntesten jüdischen Buchdruckereien am Ende des 19. Jahrunderts gehörte diejenige der Witwe und der Brüder Romm in Wilnius. Die Familie Romm hatte 1799 mit dem Druckbetrieb begonnen und war bis 1940 in dieser Branche tätig. Den grössten Erfolg erlebte das Unternehmen jedoch unter der Leitung von Devorah Romm. Ihr Mann starb 1860; sie blieb im Alter von 29 Jahren mit sechs Kindern und einem Kind aus erster Ehe zurück. Sie führte die Druckerei und erweiterte das Unternehmen mit ihren Schwagern als Partner bis zu ihrem Tod 1903. Sie war ein dynamischer und hart arbeitender Geschäftspartner: zu Beginn stand ihr Vater ihr beiseite, dann traf sie die wichtigsten Entscheidungen im Geschäft allein, als es sich ausdehnte und schliesslich Tausende von Bänden der besten Ausgaben produzierte. Sie stellte in weiser Voraussicht einen tatkräftigen literarischen Direktor ein. Die Romm-Ausgabe des Babylonischen Talmud in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts verkörperte einen Meilenstein in der hebräischen Druckerkunst; diese Ausgaben wurden zu einem Beispiel für alle darauffolgenden Editionen. Nach dem Tod von Devorah Romm verlor das Unternehmen an Ansehen und wurde verkauft. |