Terrorismus und Illusionen | |
Von Roland S. Süssmann | |
Seit der Unterzeichnung der Abkommen zwischen Rabin und der PLO steigt die Zahl der Terroranschläge in Israel immer weiter an; immer mehr Juden werden zu Opfern des arabischen Terrorismus und die Schwäche der Regierung nimmt beständig zu. Zur besseren Analyse der gegenwärtigen Situation, ihrer möglichen Konsequenzen, sowie des Terroristenproblems haben wir mit YIGAL CARMON gesprochen, dem ehemaligen Berater Itzhak Rabins und später Itzhak Shamirs für Fragen der Terrorrismusbekämpfung und Mitglied der israelischen Delegation an der Madrider Konferenz und an den bilateralen Verhandlungen von Washington mit Syrien. Y. Carmon wurde sofort nach Amtsantritt der neuen Regierung von seinem Posten abberufen.
Wie erklären Sie sich in Ihrer Eigenschaft als Fachmann im Bereich des Terrorismus die Tatsache, dass die israelische Regierung der Terroristenorganisation PLO den Status der Respektabilität verleihen konnte ? Im Grunde ist mir diese Tat unverständlich, obwohl man natürlich zahlreiche Erklärungen finden kann. Angesichts der sich heute abzeichnenden Fakten scheint mir folgendes am plausibelsten. Im März 1993 befand sich Rabin in einer extrem schwierigen Situation. Seit mehreren Monaten waren die Washingtoner Verhandlungen eingestellt worden, für ihre Wiederaufnahme war kein neues Datum vorgesehen. Es wurden immer mehr Terroranschläge verübt, in denen innerhalb von zwölf Tagen über 15 Israelis ihr Leben verloren hatten. Die Zukunft sah wirklich düster aus. Zu diesem Zeitpunkt beschloss das Aussenministerium unter der Leitung von Shimon Peres, Rabin über die geheimen Verhandlungen zu informieren, die es in Oslo seit Monaten hinter seinem Rücken mit der PLO führte. Rabin stieg sofort darauf ein und gab sein Einverständnis für die Fortführung der Gespräche. Wir müssen uns darüber im klaren sein, auch wenn dies völlig aus der Luft gegriffen scheint, dass sowohl Rabin als auch die Leute des Aussenministeriums nie die Absicht hatten, mit der PLO ein Abkommen zu unterzeichnen, ganz zu schweigen von der Verleihung eines derartigen Status an Arafat ! Die Idee bestand darin, mit dem "eigentlichen Chef", d.h. der PLO, zu verhandeln und eine Art Vereinbarung zu treffen, die anschliessend von der Delegation in Washington - den Vertretern der in Judäa-Samaria und Gaza lebenden Bevölkerung - unterzeichnet und angewendet worden wäre. In Wirklichkeit war geplant worden, das so ausgehandelte Abkommensprojekt den Delegationen in Washington vorzulegen; es wäre von ihnen angenommen und die geheimen Verhandlungen mit der PLO wären der Öffentlichkeit nie bekanntgegeben worden. Dieser Plan erwies sich als völlig undurchführbar und besass keine Aussichten auf Erfolg. Am Ende der Verhandlungen wurde allen klar, dass dieser Pakt von niemandem unterzeichnet werden würde. In Übereinstimmung mit der PLO lehnte die palästinensische Delegation seine Unterzeichnung schlichtweg ab. Rabin steckte folglich in einer auswegslosen Situation. Dazu gesellte sich die Tatsache, dass der heute verstorbene norwegische Aussenminister J. Holst die geheimen Verhandlungen der ganzen Welt aufdeckte in der einzigen Hoffnung, auf diese Weise die Parlamentswahlen zu gewinnen, was denn auch zutraf. Darauf folgten zehntägige Gespräche, um das Dokument der gegenseitigen Anerkennung auszuarbeiten, das der PLO das Recht zur Unterzeichnung des Abkommens verlieh. Die PLO machte zahlreiche Versprechungen, formulierte sie jedoch so, dass sie letztendlich zu nichts verpflichtet war: dies reicht von der Abschaffung oder vielmehr Abänderung ihrer Charta über mehrere weitere Streitigkeiten bis zur Einstellung der Intifada... Rabin hätte angesichts der Weiterentwicklung der Ereignisse und im Wissen, dass die palästinensische Delegation in Washington die Abkommen nicht unterzeichnen würde, das Verfahren unterbrechen können. Weshalb hat er dies nicht getan ? Itzhak Rabin allein trägt persönlich die gesamte Schuld und Verantwortung für diese Katastrophe. Einerseits weil ihm die Bevölkerung ihr Vertrauen entgegenbrachte, und andererseits weil er nicht bereit war, den politischen Preis für seinen Irrtum zu zahlen und zurückzutreten. Er wollte unbedingt beweisen, dass er dort erfolgreich sein konnte, wo der Likud nicht sofortige Resultate hatte vorweisen können. Dieser Schritt ist ebenfalls auf den tiefen Hass zurückzuführen, den die Linke gegen den Likud hegt. Wie erklären Sie sich als Experte für Terrorismusfragen, dass es Israel nie gelungen ist, Arafat umzubringen ? Wie kommt es, dass die tiefgreifenden Wurzeln des arabischen Terrorismus nie ausgerottet werden konnten, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Intifada nur mit einer gewissen Nachsichtigkeit bekämpft wurde ? Die Ermordung Arafats wäre bis zu seiner Rettung durch Mitterrand im Libanon denkbar gewesen. Hier haben wir versagt. Zu einem späteren Zeitpunkt kam es zu keiner entsprechenden politischen Entscheidung, ganz abgesehen davon, dass es nie ganz einfach gewesen wäre. Wir haben den arabischen Terrorismus immer bekämpft und einige nicht zu unterschätzende Siege errungen. Im Hinblick auf die Intifada war es unmöglich so zu reagieren, wie beispielsweise in Algerien, indem die Intifada mit Hilfe von Panzern unterdrückt worden wäre. Unsere jüdischen Werte, die uns eine umfassende Achtung des menschlichen Lebens vorschreiben, hinderten uns daran. Die Bevölkerung hätte ein solches Vorgehen nie toleriert. Es existieren sehr viel wirksamere Mittel, mit denen feindlich gesinnte Teile der Bevölkerung ohne Blutvergiessen in Schranken gehalten und kontrolliert werden können. Es reicht aus, innerhalb der arabischen Bevölkerung politische Agitation zu betreiben und die administrative, wirtschaftliche, soziale usw. Macht einzusetzen. Zur besseren Veranschaulichung möchte ich als Beispiel an den Tag erinnern, als die Zivilverwaltung aus computertechnischen Gründen beschloss, die Identitätskarten der in Gaza lebenden und in Israel arbeitenden Araber auszuwechseln. Ungefähr 50'000 Personen wurden gebeten, sich in einem speziell dafür eingerichteten Büro der Armee zu melden. Vier junge Soldaten, bewacht von ca. zwanzig bewaffneten Männern, führten die Formalitäten durch. Tausende von Arabern, die aufgrund ihrer zahlenmässigen Überlegenheit die Soldaten und die wenigen Wachleute problemlos hätten umbringen können, standen ohne mit der Wimper zu zucken vor diesen Büros Schlange. Ohne ihre Identitätskarten waren sie sozusagen nicht existent. Der Einsatz administrativer Mittel stellt eine Form der Gewalt ohne Blutvergiessen dar. Wir haben diesen Aspekt des Kampfes vollkommen ignoriert und die Intifada nur durch direkte physische Konfrontation angegriffen. Der Alltag der Araber, die unsere Soldaten und Zivilpersonen mit Steinen und Molotowcocktails bewarfen, wurde jedoch in keiner Weise gestört oder gar beeinflusst. Sie wurden mit den Behörden nur bei Strassenkämpfen konfrontiert. Daneben profitierten sie von der gesamten Regierungshilfe, die ihnen normalerweise zustand. Diese verrückte Politik, die zwischen Zivilperson und Strassenkämpfer unterscheidet, obwohl es sich um dasselbe, seine Identität vertauschende Individuum handelt, war von Mosche Dayan eingeführt worden. Jordanien musste Anfang 1988 eine Form der Intifada bekämpfen, mit der das Land innerhalb von elf Tagen und mit insgesamt nur neun Opfern fertig wurde, indem es alle zur Verfügung stehenden administrativen Instrumente einsetzte. Diese Unterdrückung ist weniger brutal, subtiler und effizienter. Hier berühren wir einen empfindlichen Punkt der Abkommen Rabin-PLO. Falls es nämlich nach dem Rückzug unserer Truppen aus Jericho und Gaza zu Schwierigkeiten kommt, wären wir wohl weder moralisch, noch menschlich oder politisch in der Lage, Kampfflugzeuge oder Panzer gegen diese Regionen mit dichter Zivilbevölkerung einzusetzen. Der Drogenhandel und der Terrorismus, den man im allgemeinen als Narkoterrorismus bezeichnet, sind eng miteinander verflochten. Syrien baut in Syrien selbst und im Libanon riesige Felder mit Mohn an. Weshalb hat Israel im Rahmen der Terrorismusbekämpfung diese Felder nie bombardiert ? Diese Produkte können nicht durch eine "herkömmliche" Bombardierung zerstört werden, dazu sind chemische Mittel notwendig. Die Mohnfelder wurden nicht bombardiert, weil der grösste Teil der syrischen Armee im Bekaa-Tal stationiert ist, wo diese Felder liegen. Eine unsere Forderungen an Syrien bestand in Madrid daraus, dass diese Region evakuiert und die Felder zerstört würden. Ein israelischer Bombeneinsatz in dieser Zone hätte zweifellos die Spannungen intensiviert und die Folgen einer derartigen Operation wären überhaupt nicht abzuschätzen gewesen. Wie analysieren Sie die Beziehungen zwischen PLO und Hamas ? Die beiden Organisationen haben eine Vereinbarung getroffen, dass sie sich weder in der Gegenwart noch in der Zukunft gegenseitig bekämpfen. Fragt man einen PLO-Vertreter, wie er gegen eine Person vorgehen würde, die in Israel einen Terroranschlag verübt hat, antwortet er entweder ausweichend oder aber sehr deutlich, wie zum Beispiel Abu Mazen, der erklärte: "Die palästinensische Polizei wird nie ein Repressionsinstrument sein". Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die Situation weiterentwickeln ? Ich denke nicht, dass sich Israel aus Gaza und Jericho wird zurückziehen können. Rabin weiss sehr wohl, dass in dem Augenblick, da die Soldaten aufbrechen werden, die Araber ihnen in den Rücken fallen und das totale Chaos auslösen werden. Glauben Sie ja nicht, dass dies eine gutes Zeichen wäre. Das Ausmass der Tragödie muss einem wirklich bewusst sein, auch wenn Israel bisher - ausser der Anerkennung der PLO, was an sich schon schwerwiegend genug ist - noch keine konkreten Zugeständnisse gemacht hat. Die Tat, die ich in diesem Zusammenhang als "kriminell" bezeichne, ist das Anfachen falscher Hoffnungen bei der jüdischen und der arabischen Bevölkerung. Sollte das Projekt scheitern, wären alle Juden, die daran geglaubt haben, enttäuscht, würden aber irgendwie überleben. Die Araber hingegen würden sehr schlecht reagieren und hätten grosse Schwierigkeiten diese neue Realität zu akzeptieren. Die daraus entstehenden Unruhen müssten zahlreiche Juden mit dem Leben bezahlen, und beide Gemeinschaften würden sich, wie schon 1948, mit der Waffe in der Hand gegenüberstehen. Die jüdischen Bewohner der Gebiete befänden sich an der Front, doch die Bevölkerung würde sich überall im Land bekämpfen. Diese Voraussagen mögen Ihnen sehr düster erscheinen, doch ich sehe keine andere Möglichkeit. Die ganze Tragödie beruht auf der Illusion, dass jede Art von Frieden eine Garantie für die Sicherheit verkörpert. Darüber hinaus wird die Flucht nach vorn, welche die gegenwärtige Regierung angetreten hat, von der israelischen Zivilbevölkerung einen sehr hohen Preis an Blut und Leid fordern. Die Vorgehensweise und die daraus erwachsenden Konsequenzen sind in bezug auf die restlichen Gebiete und den Golan absolut dieselben. |