Die strategischen Waffen Syriens
Von Michael Eisenstadt, Washington
Nach der Niederlage Iraks im Golfkrieg und dem anschliessenden Abbau seines weitreichenden Programms für strategische Waffen, besitzt nun Syrien das bestausgebaute strategische Waffenpotential der arabischen Welt. Syrien hat bedeutende Mittel in den Kauf der diversen Bestandteile dieses Arsenals investiert, das auch unkonventionelle (chemische und biologische) Waffen, Langstrecken- (ballistische Raketen, Marschflugkörper und Kampfflugzeuge) und Aufklärungssysteme umfasst.
Die Gründe Syriens für die Entwicklung dieses Potentials wurzeln in der von Präsident Assad und seinen engsten Mitarbeitern geteilten Auffassung, dass Israel ein "expansionistischer und aggressiver" Staat sei, der sich gemäss des biblischen Versprechens "vom Nil bis zum Euphrat" ausdehnen wolle. Ausserdem sind sie überzeugt, dass Israel die regionale Hegemonie erlangen möchte, indem es zur Schwäche und Zerstrittenheit der Araber beiträgt. Die expansionistische und aggressive Natur Israels drückt sich ihrer Ansicht nach auf militärischer Ebene durch folgende Elemente aus: die Entwicklung israelischer Kernwaffen zur Dominierung und Einschüchterung der arabischen Nachbarn; die Aufstellung schwerer Panzertruppen, die aufgrund ihrer Struktur den Krieg rasch auf feindliches Territorium verlagern können; die Schaffung einer starken Luftwaffe, die Ziele in der gesamten Region angreifen kann; und sein Bekenntnis zu einer offensiven militärischen Doktrin.
Diese wahrgenommene Bedrohung wird durch den Mangel Syriens an strategischer Tiefe verstärkt und erzeugt dadurch das Bewusstsein der strategischen Verwundbarkeit. Ungefähr 80% der syrischen Bevölkerung und Industrie befinden sich im geographisch ungeschützten westlichen Teil des Landes. Die Hauptstadt Damaskus (2,5 Mio Einwohner) liegt nur 40 km von den israelischen Linien im Golan und 20 km vom Libanon entfernt und wurde in zwei Kriegen von beiden Seiten bedroht. Darüber hinaus bietet das Bekaa-Tal die Möglichkeit eines Boden- oder Luftvorstosses ins Landesinnere, wo Homs (drittgrösste Stadt mit 1 Mio Einwohnern), Hama (fünftgrösste Stadt mit 500'000 Einwohnern) und ein grosser Teil der industriellen Infrastruktur Syriens liegen. Und schliesslich befinden sich die wichtigen Hafenstädte Latakia (350'000 Einwohner) und Tartus (125'000 Einwohner) sowie mehrere bedeutende Industrieanlagen an Syriens exponierter Küste. Sie können daher leicht vom Meer aus angegriffen werden.
Die strategischen Streitkräfte Syriens dienen folglich als Abschreckung, um Israels nukleares Potential abzuwenden, der Bedrohung durch israelische Boden- und Lufttruppen entgegenzuwirken und als Schild gegen eine Niederlage im Krieg zu dienen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sieht Syrien in seinen strategischen Waffen vielleicht auch ein Mittel, den Verlust einer schützenden Grossmacht zu kompensieren. Aus diesen Gründen nehmen die strategischen Mittel in den syrischen Verteidigungsplänen immer mehr an Bedeutung zu.
Zusätzlich könnte Syrien seine Streitkräfte - seine Raketen, Kampfflugzeuge und chemischen Waffen - in einem zukünftigen Krieg gegen Israel einsetzen, um operationelle und taktische Ziele zu erreichen. Jeder Versuch Syriens, den von Israel besetzten Golan zurückzuerobern, wäre von seiner Fähigkeit abhängig, seinen Vorteil in Bezug auf bestehende Truppen (5-6 syrische Divisionen gegen 1-2 israelische Divisionen) während einer ersten Kriegsphase auszunützen. Syrische Raketen und Kampfflugzeuge könnten operationelle und taktische Ziele wie Flugplätze und Arsenale, aber auch Befehls-, Kontroll-, Kommunikations- und Informationseinrichtungen (BKKI) in den ersten Tagen eines Kriegs angreifen. Ziel wäre die Neutralisierung der israelischen Luftwaffe, die Unterbrechung und Verzögerung der Mobilmachung israelischer Reserveeinheiten und die Verringerung seiner Fähigkeit, die Entwicklungen der Kämpfe zu verfolgen. Dies gäbe Syrien die Möglichkeit, seine kräftemässige Überlegenheit im Golan zu wahren und zum Erreichen seiner Ziele in dieser Region beizutragen.

Gegenwärtig weiss man nicht mit Bestimmtheit, ob Syrien ein Programm für nukleare Waffen besitzt. Es wurden jedoch in den letzten Jahren Schritte unternommen, um eine zivile Kernkraft-Infrastruktur zu schaffen, die unter Umständen als Grundlage für dieses Programm dienen könnte. 1988 startete die syrische Atomenergiekommission ein Programm von 3,6 Mia $ für den Bau von sechs Kernkraftreaktoren mit einer Gesamleistung von 6000 Megawatt, deren Inbetriebnahme Ende der 90er Jahre vorgesehen wurde. Syrien hat versucht, für dieses Vorhaben die Unterstützung der Sowjetunion, Belgiens und der Schweiz zu gewinnen. Anschliessend versuchte das Land, im April 1990 von der Sowjetunion bis zu vier VVR-1000 Kernkraftreaktoren sowie Uraniumbrennstoff zu erwerben. Jüngste Berichte aus Syrien besagen jedoch, dass Damaskus diese Pläne, im Augenblick wenigstens, aus finanziellen und technischen Gründen aufgegeben hat.
Syrien ist ebenfalls im Hinblick auf den Kauf eines Forschungsreaktors an die Sowjetunion, Italien, China und Argentinien herangetreten. Im Dezember 1991 erwarb es von China einen Miniatur-Neutronenquellenreaktor von 30 kW (der sich nicht für die Produktion von hochangereichertem Uranium, wie er in Waffen verwendet wird, eignet) und 980,4 g hochangereichertes Uranium. Und schliesslich hat es versucht, von Namibia und anderen Staaten grosse Mengen (tausend Tonnen) Uranerzkonzentrat ("yellow cake") zu kaufen. Diese Aktivitäten weisen alle auf beginnende Anstrengungen Syriens hin, eine nukleare Infrastruktur und ein Kader von Nuklearwissenschaftlern zu schaffen, obwohl es zehn Jahre oder vielleicht länger dauern könnte, bei heute einsetzender Arbeit Kernwaffen zu erzeugen.
In der Vergangenheit trugen das Versagen Syriens, ein nukleares Programm aufzustellen, und Aussagen Assads, in denen der Sinn nuklearer Waffen in Frage gestellt wurde, dazu bei, Befürchtungen über Pläne in diesem Bereich zu zerstreuen. In einem Interview aus dem Jahre 1987 sagt Präsident Hafiz al-Assad beispielsweise, dass "Israel, selbst wenn es Kernwaffen besässe", diese auf keinen Fall einsetzen könnte, "da Israel selbst" unter dem radioaktiven Niederschlag leiden würde und "vor den Gefahren nicht in Sicherheit wäre", falls es diese Waffen gegen Damaskus verwendete. Ausserdem würden die Supermächte und andere Länder nicht "tatenlos zusehen", hiess es weiter, falls Israel diese Waffen einsetzte. Davon konnte man stillschweigend ableiten, dass Syrien ähnlich handeln würde. Das Land hätte keinen Nutzen aus der Entwicklung von Kernwaffen, vor allem da die in dieser Region vorherrschenden Winde den radioaktiven Niederschlag nach einer nuklearen Explosion über Israel auf Damaskus zutreiben würden. Die vor kurzem erfolgten Anstrengungen Syriens betreffend den Erwerb von Nukleartechnologie und sein Zusammenschluss mit dem Iran - der über ein aktives Nuklearprogramm verfügt - deuten jedoch darauf hin, dass Syrien seine traditionelle Einstellung gegenüber diesem Thema vielleicht ändern könnte.

Syrien besitzt das ausgedehnteste und am besten entwickelte Programm für chemische Aufrüstung der arabischen Welt. Es erwarb zunächst dank Ägypten und noch vor dem Krieg von 1973 geringe Mengen von chemischen Mitteln. Syriens Bemühungen, eine einheimische chemische Waffenproduktion zu entwickeln, waren aber nicht erfolgreich, bis seine militärischen Schwachpunkte im Libanonkrieg 1982 aufgedeckt wurden. Syrien begann 1985 mit der Herstellung von chemischen Raketensprengköpfen und besitzt nun Dutzende von chemischen Gefechtsköpfen, die mit dem Nervenkampfstoff Sarin für "B- und C-Scudraketen" gefüllt sind, dazu Tausende von C-Bomben mit den Nervengasen VX und Sarin, die von den Flugzeugen Su-24, MiG-23BN und Su-20/22 gegen operationelle und taktische Ziele abgefeuert werden können.
Syriens chemisches Aufrüstungsprogramm wirkte schon immer als strategische Abschreckung. Die Herstellung von Sprengköpfen und Bomben mit Sarin beweist, dass die Syrer diese Waffen vor allem zu strategischen Zwecken benützen wollten, um dicht besiedelte zivile Zentren Israels zu bedrohen, obwohl sie auch operationell und taktisch gegen Luftwaffenstützpunkte, Arsenale und BKKI-Anlagen eingesetzt werden können. Berichte darüber, dass Syrien heute Rohr- und Raketenartilleriemunition produzieren könnte, die mit senfgasähnlichen Hautgiften gefüllt sind, zeigen darüber hinaus, dass sie heute die Fähigkeit entwickeln, chemische Angriffe gegen taktische Ziele zu führen. Artilleriemunition mit senfgasähnlichen Hautgiften würde im Idealfall zur Verteidigung syrischer Truppen gegen vordringende israelische Streitkräfte verwendet werden, um Verluste zu bewirken und ihren Vormarsch aufzuhalten.
Syrien produziert bestimmten Angaben zufolge in zwei Anlagen nahe Damaskus und Homs und wahrscheinlich auch in anderen Werken mehrere hundert Tonnen Giftkampfstoffe pro Jahr. Das Produktionsprogramm beruht angeblich auf Doppelzweck-Technologie, die aus Deutschland und Frankreich stammt, sowie auf Vorprodukten, die in Westeuropa und Indien erworben wurden. Syrien stellte seine "Scud-B"- und "C"-Sprengköpfe mit der Unterstützung von westeuropäischen und nordkoreanischen Ingenieuren und Technikern her, und es heisst, es suche bei China und verschiedenen westlichen Firmen Hilfe für die Entwicklung modernerer chemischer Sprengköpfe.
Biologische Angriffswaffen gehören ebenfalls zum Potential Syriens; auch bei der Entwicklung von biologischen Raketensprengköpfen soll das Land chinesische und westliche Firmen um Unterstützung bitten. Es sind nur wenige zusätzliche Einzelheiten über sein biologisches Rüstungsprogramm bekannt.

Während des Kriegs von 1973 startete Israel einen grossen Bombenangriff gegen Syrien als Vergeltung für den Abwurf von FROG-7-Raketen auf Zielgebiete in Nordisrael. Das General- und Luftwaffenhauptquartier in Damaskus wurden getroffen, daneben auch wirtschaftliche Ziele im ganzen Land. Dieser strategische Bombenangriff bewirkte Schäden in der Höhe von ca. 1,2 Mia $, zerstörte ungefähr 50% der syrischen Ölversorgung und 45% der elektrischen Stromerzeugungskapazität. Da Syrien keine Raketen oder Kampfflugzeuge besass, die Israels wichtigste Bevölkerungszentren erreicht hätten, waren eine Abschreckung Israels oder ein Vergeltungsschlag unmöglich. Nach dem Krieg von 1973 bestand eine Priorität der Syrer folglich aus der Schaffung einer strategischen Abschreckung durch den Erwerb von B-Scudraketen. Der Golfkrieg hob das Überlebenspotential und die Wirksamkeit dieser mobilen Flugkörper hervor. Obwohl die irakischen Raketen, die Israel trafen, nur beschränkten materiellen Schaden anrichteten, steht dennoch fest, dass sie sich in bedeutendem Ausmass auf die Wirtschaft und die Bevölkerung auswirkten. Die Erfahrungen des Golfkrieges bestärkten daher Syrien, noch mehr dieser Raketen zu kaufen.
Syrien besitzt einen der grössten Raketenbestände der Dritten Welt. Der sowjetische "Scud-B", der 1974 erstmals geliefert wurde, und der modernere nordkoreanische "Scud-C", erstmals 1991 geliefert, bilden heute den Grundpfeiler der strategischen Streitkräfte Syriens. Diese Raketen dienen Syrien als strategische Abschreckung gegen Israel und andere Nachbarländer, indem sie den Angriff auf feindliche Bevölkerungszentren ermöglichen. Heute befinden sich ca. 250 "Scud-B"- und "Scud-C"-Raketen (mind. 60 Scud-Cs) in syrischem Besitz, dazu ungefähr 24 bis 36 TELs (Transporter-Aufrichter-Starter). Ausserdem wird Syrien von Iran, Nordkorea und China beim Bau von unterirdischen Fabriken bei Aleppo und Hama unterstützt, um dadurch die einheimische Produktion von nordkoreanischen "Scud-C" und chinesischen M-9-Raketen zu ermöglichen. Syrien hat dazu grosse Mengen von deutschen Präzisionswerkzeugmaschinen erworben. Mit der Produktion von Scud-C soll allem Anschein nach in 12-18 Monaten begonnen werden, während die Fertigung von M-9 voraussichtlich erst in 2-3 Jahren gestartet wird. Auch China hilft Syrien bei der Verbesserung des existierenden "Scud-B"-Bestands.
Da Syriens Scudraketen (B und C) die Hauptstütze seiner strategischen Abschreckungskräfte darstellen, werden sie in Untergrundbunkern in Hügeln und Tunnels verwahrt, die herkömmlichen Luftangriffen standhalten sollen. Sie sind daher vor israelischen Präventivangriffen geschützt und haben die Überlebensfähigkeit in Kriegszeiten erhöht. Die vielseitige Zusammensetzung des Potentials durch den Besitz von Scud-B und Scud-C erschwert die Vorgehenspläne Israels erheblich. Um die wichtigsten israelischen Zielgebiete zu erreichen, müssen die Scud-B von ungeschützten, vorgelagerten Standorten in der Gegend von Damaskus abgeschossen werden, wo sie während der Abschussvorbereitung leicht entdeckt und angegriffen werden können. Wegen den kurzen Flugzeiten und Distanzen erhält Israel die Informationen über einen erfolgreichen Abschuss aus diesen Gebieten aber vielleicht zu spät, um Verteidigungsmassnahmen zu treffen. Die syrischen Scud-C (500 km Reichweite) erreichen Angriffsziele in Israel hingegen von jedem beliebigen Abschussgebiet innerhalb des Landes aus. Dies macht es für Israel noch viel schwieriger, diese Raketen zu lokalisieren und zu zerstören, da das abzusuchende Gebiet sehr gross ist. Im Golfkrieg besass Irak 24-36 TELs und MELs (Mobile Aufrichter-Starter) in verschiedenen Abschussgebieten im Westen und Osten des Landes. Nur wenige von ihnen, wenn überhaupt, wurden während des Krieges von den alliierten Streitkräften zerstört. Im Vergleich dazu verfügt Syrien über 24-36 TELs, die in einem noch viel grösseren Gebiet verteilt sind. Bezieht man sich also auf die Erfahrungen aus dem Golfkrieg, scheint es unwahrscheinlich, dass Israel die durch diese Raketen verkörperte Gefahr im Falle eines Krieges gegen Syrien vollständig eliminieren kann.
Wenn jedoch Syrien diese Flugkörper aus seinem ausgedehnten Hinterland abschiesst, erhöht dies die Zeit der Warnperiode für Israel aufgrund der längeren Flugzeit und der Distanzen; Israel verfügt somit über zusätzliche Zeit für Verteidigungsmassnahmen. Letztendlich könnte sogar das erfolgreiche Abfangen von chemischen Sprengköpfen durch Raketenabwehrsysteme zu Verlusten in der Zivilbevölkerung führen, da die Zerstörung eines Gefechtskopfes in niedriger Höhe zur Verbreitung des Giftes beitrüge. Syrien verfügt daher über ausreichend Scud-B und Scud-C sowie TELs, um einen massiven Angriff durchzuführen, der Israels bekanntlich beschränkte Raketenabwehr auslasten und überfordern würde. Die syrischen Anstrengungen, Scud-C und M-9-Raketen im eigenen Land herzustellen, und die Verzögerungen in Israel bei der Entwicklung und Einrichtung hochentwickelter Raketenabwehrsysteme, gewährleisten Syrien in absehbarer Zukunft eine sichere Durchdringungskapazität. Ausserdem wird die einheimische Fertigung der chinesischen Festtreibstoffrakete M-9 (mit einer Reichweite von 600 km) das syrische Raketenpotential bedeutend verstärken. Die M-9 besitzt grössere Reichweite und Zielgenauigkeit als andere abgewehrte Raketen sowie erhöhte Überlebensfähigkeit (dank ihrer grösseren Beweglichkeit und reduzierter Reaktionszeiten) und höhere anhaltende Feuergeschwindigkeit.
Gemäss ihrer strategischen Abschreckungsrolle hat Syrien mehrmals Raketen eingesetzt, um Israel Warnungen zukommen zu lassen. Während der syrischen Raketenkrise im April 1981 und der israelischen Invasion im Libanon im Juni 1982 installierte Syrien einige Scud-B startbereit an Standorten nahe Damaskus - wo sie von Israel beobachtet werden konnten - als Zeichen seiner Entschlossenheit, seine lebenswichtigen Interessen zu verteidigen. Verteidigungsminister Mustafa Tlas betonte diesen Punkt, indem er Israel nach dem Krieg von 1982, als israelische Streitkräfte nur 20 km von Damaskus entfernt waren, warnte; wenn Israel die Hauptstadt angriffe, würden sie "sehen, was mit Tel Aviv passiert", da syrische Raketen "überall in Israel angreifen können".
Darüber hinaus haben sich syrische Raketen bei der Abschreckung anderer Nachbarländer als nützlich erwiesen. Als Irak während des Golfkrieges Israel mit seinen eigenen modifizierten Scudraketen bombardierte, warnte Tlas Irak vor einem Angriff auf Syrien. Er riet Saddam Hussein, Syrien für seine Teilnahme an der Koalition gegen Irak weder zu provozieren oder zu bestrafen, wie er Israel zu provozieren versuchte, denn (Syriens) "Vergeltung würde zehnfach sein".
Syriens Scud-B und Scud-C besitzen die Reichweite und die Genauigkeit, chemische oder konventionelle Bombenlasten gegen grosse Zielgebiete überall in Israel zu richten. Sie können auch chemische Lasten gegen verhältnismässig kleine Ziele abschiessen, wie beispielsweise Flugplätze, Arsenale und BKKI-Anlagen im ganzen Land, obwohl ihnen die ausreichende Genauigkeit fehlt (mit einem Streukreisradius von 500-1000 m), um diese Ziele mit konventionellen Lasten zuverlässig zu treffen. Syrien verfügt auch über konventionell ausgerüstete operationell-taktische SS-21-Missiles und FROG-7-Raketen, beide mit einer Reichweite von 70 km, und jeweils 100 m, bzw. 500 m Streukreisradius. Diese Reichweite ist ausreichend, um militärische Ziele Israels im Norden des Landes anzugreifen. Von den 11 wichtigen Luftstützpunkten Israels liegt jedoch nur einer im Zielgebiet der SS-21 und FROG-7. Fünf der zwölf israelischen Panzerdivisionen, das Rückgrat der Armee, stehen im Norden, wobei die Ausrüstung dieser Divisionen in ungefähr 15 Waffenlagern aufgeteilt ist, die zum grössten Teil innerhalb der Reichweite der SS-21 und FROG-7 liegen. Nur die SS-21 ist jedoch präzise genug, um diese Ziele wirklich zu gefährden.
Angesichts dieser Gefahr hat Israel grosse Anstrengungen zum Schutz seiner Luftwaffenstützpunkte gegen chemische oder konventionelle Angriffe unternommen. Flugzeugbunker und andere empfindliche Anlagen liegen unter dem Boden, Luft- und Bodenteams wurden für den Kampf in einer chemisch verseuchten Umgebung trainiert, die Landepisten sind gehärtet und können rasch gesäubert und repariert werden. Ein chemischer Angriff gegen eine israelische Luftbasis würde die Operationen dennoch erschweren, indem die Schlagkraft der Lufttruppe durch die Herabsetzung der Einsatzzahl reduziert würde. Arsenale sind noch empfindlicher gegen chemische Angriffe, obwohl die zum Teil eingebauten Lagerhallen und die Wetterschutzhüllen für Fahrzeuge und andere Ausrüstungen die Kontaminierung beträchtlich herabsetzen. Zahlreiche Verluste könnten jedoch bei den Reservisten auftreten, wenn sie sich von zu Hause in ihre Einheiten begeben und nicht schon vor der Mobilmachung mit dem entsprechenden Schutz gegen einen chemischen Angriff ausgerüstet wurden. Eine chemische Attacke in der Anfangsphase eines Krieges würde daher die israelischen Mobilisierungsbemühungen stark beeinträchtigen.
Syrien würde wahrscheinlich keine chemischen Waffen in einer frühen Kriegsphase einsetzen, aus Angst vor einem massiven israelischen Vergeltungsschlag. Israels Premierminister Itzhak Rabin und viele andere politische und militärische Verantwortliche haben die "arabische Welt und ihre Führer" gewarnt, dass "der Einsatz von Raketen und Kampfstoffen" Israel veranlassen würde, "hundertmal härter zurückzuschlagen".
Folglich wird Syrien wohl mit ausländischer Hilfe versuchen, präzisere Raketen, ausgerüstet mit konventionellen Submunitionssprengköpfen, zu entwickeln, um die israelische Mobilmachung mit konventionellen Waffen zu verhindern oder zu verzögern und eine massive Vergeltung zu verunmöglichen. Submunitionen oder kleine Bomben könnten aber einmalige Gefahren für Ausrüstung und Mannschaft in überfüllten Arsenalen darstellen und es wäre extrem schwierig, sie zu lokalisieren und zu beseitigen.

Durch die Leistung der amerikanischen Marschflugkörper "Tomahawk" während des Golfkrieges sehr beeindruckt, soll Syrien auch an einem Marschflugkörper arbeiten, der sowohl unkonventionelle als auch konventionelle Nutzlasten abschiessen könnte. Obwohl sehr wenig Informationen über das Programm bekannt sind, könnte ein System der ersten Generation möglicherweise auf normal installierten Raketen oder Drohnen beruhen, wie z.B. auf der Antischiffrakete SSC-1b "Sepal" oder dem ferngesteuerten Aufklärungsflugzeug DR-3. Relativ einfache Veränderungen an den Lenkanlagen dieser Waffen, wie die Installation von Navigationstechnologie für Satelliten, und die Verwendung von Antiradareinrichtungen und -beschichtungen machen sie zu recht präzisen und schwer erkennbaren Marschflugkörpern. Dies lässt die Aufgabe der Raketenabwehr sehr viel komplizierter werden.
Marschflugkörper eignen sich bestens für das Abschiessen von biologischen und chemischen Kampfstoffen gegen feindliche Bevölkerungszentren, da sie zu Angriffsmanövern programmiert werden können, welche die Verteilung dieser Gifte in geringer Höhe über einem grossen Gebiet erleichtern; in dieser Höhe kann der Einfluss ungünstiger atmosphärischer Bedingungen (hohe Windgeschwindigkeiten oder Temperaturveränderungen) sehr gering gehalten werden. Ausserdem können Marschflugkörper hochentwickelte konventionelle Munitionslasten (wie z.B. Munitionen gegen Landepisten oder Panzer) gegen hochwertige Ziele im feindlichen Gebiet gerichtet werden. Wenn sie in grosser Zahl abgeschossen werden und unterhalb des Einsatzbereichs von gegenwärtigen oder zukünftigen Raketenabwehrsystemen fliegen, können syrische Marschflugkörper Israel und andere Gegner vor potentiell schwierige Herausforderungen stellen.

Syrien besitzt verschiedene Flugzeugtypen. Dazu gehören ca. 24 SU-24, deren Reichweite gross genug ist, um ohne neue Treibstoffzufuhr Ziele in ganz Israel anzufliegen, 60 MiG-23BN und 90 Su-20/22, welche Ziele in Nordisrael erreichen können. Diese Flugzeuge können grössere Lasten (chemische Bomben mit VX und Sarin eingeschlossen) mit höherer Genauigkeit und über weitere Distanzen abwerfen, als jede andere Rakete oder Flugkörper im syrischen Arsenal. Obwohl die grosse Anzahl Flugzeuge, welche für Angriffsoperationen eingesetzt werden können, die Planung der israelischen Luftraumverteidigung erschwert, besitzt allein der Su-24 die niedrige Durchdringungsfähigkeit, die ihn zu einer bedeutenden Gefahr machen. Daher kann Syrien nur mit einer kleinen Zahl von Flugzeugen rechnen, welche die israelische Verteidigung des Luftraumes durchbrechen würden, wobei noch weniger von ihnen ihre Ziele auch wirklich erreichen würden. Dies reichte bestimmt nicht aus, um als glaubwürdige strategische Abschreckung zu dienen oder die Operationen der Luftwaffenstützpunkte bzw. die Mobilmachungsbemühungen während einer ersten Kriegsphase beträchtlich zu stören. Der künftige Erwerb einer neuen Generation von hochpräzisen Langstrecken-Kontainerwaffen, die gegenwärtig im Westen entwickelt werden, wie z.B. der französische "Matra Apache", der italienische "CASMU Skyshark" und der britische "BAe Mantis", könnten das syrische Potential hingegen stark erweitern. Die syrische Luftwaffe wäre erstmals in der Lage, grosse Mengen Munition zielgenau auf militärische Angriffspunkte Israels abzuschiessen, ohne dazu in den israelischen Luftraum eindringen zu müssen; dadurch würde unter Umständen das militärische Gleichgewicht zwischen Israel und Syrien verändert. Das erste System dieser neuen Waffengeneration sollte jedoch nicht vor Ende der 90er Jahre zur Verfügung stehen, und politische und finanzielle Einschränkungen könnten Syrien vom Kauf dieser Waffen abhalten.

Obwohl Syrien zur Zeit keinen eigentlichen militärischen Aufklärungssatelliten besitzt, ist diese Art von hochentwickeltem Zielpotential für strategische Systeme wie "Scud-B" und "Scud-C" nicht notwendig. In Wirklichkeit liefern die meisten käuflichen Landkarten mit grossem Massstab die entsprechenden Einzelheiten für die Zwecke der strategischen Zielsuche. Im Handel erhältliche Satellitenbilder, welche von Syrien und anderen Ländern sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet wurden, könnten für die Beurteilung der Schäden nach einem Angriff eingesetzt werden, auch wenn der rechtzeitige Zugang zu Bildmaterial über kommerzielle Quellen und dessen Verfügbarkeit in Kriegszeiten ein mögliches Problem darstellt (siehe Jane's Intelligence Revue des nächsten Monats).
Syrien hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte in seiner Fähigkeit erzielt, strategische und operationell-taktische Aufklärung durchzuführen. 1984 erwarb es das ferngesteuerte sowjetische Langstrecken-Aufklärungsflugzeug DR-3 und bestellte 1992 das russische ferngesteuerte Kurzstreckenfahrzeug Pchela-1. In einem zukünftigen Krieg wird es mit Hilfe dieser Systeme die Effizienz der Angriffe gegen israelische Bevölkerungszentren und Militärziele besser planen und garantieren können.
Das DR-3 weist eine Reichweite von 180 km auf, was zum Erreichen des israelischen Nordens, des Zentrums und teilweise des Südens ausreicht. Das Flugzeug kann als Nutzlast entweder Fernseh- oder Fotokameras für eintägige Missionen transportieren. Da das DR-3 jedoch ein relativ grosses System ist, wird es von der modernen Luftraumverteidigung leicht entdeckt - bis heute wurden bekanntlich zwei von ihnen von Israel zerstört -, und es steht nicht fest, ob dieses System auf dem modernen Kampffeld überleben würden. Das Pchela-1 hingegen mit seiner Reichweite von 60 km liefert Tag und Nacht ein Aufklärungspotential in Realzeit und gilt aufgrund seiner geringen Grösse als besser überlebensfähig. Die kurze Reichweite wird jedoch seine Einsatzmöglichkeiten für Zielbeobachtung bei Langstrecken-Angriffssystemen einschränken.

Syrien hat vor kurzem seine langjährigen Beziehungen zu Iran erweitert, um auch die Zusammenarbeit beim Erwerb und bei der Entwicklung von strategischen Waffen und der entsprechenden Technologie einzuschliessen. Zur militärischen Kooperation der beiden Länder kommt vielleicht die Zusammenarbeit im nuklearen Bereich (Iran besitzt bereits eine sich entwickelnde nukleare Infrastruktur und einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung), die gemeinsame Produktion von nordkoreanischen "Scud-C" und chinesischen M-9-Raketen (mit der Unterstützung und der Technologie Nordkoreas und Chinas), und eventuell die Entwicklung chemischer und biologischer Sprengköpfe für diese Raketen (wobei Syrien hier führend ist). Syrien hält Iran für einen potentiellen Partner, um an Waffen, Technologie und Know-how heranzukommen. Da sowohl Syrien und Iran dasselbe Interesse am Erwerb und an der Entwicklung strategischer Waffen teilen und von der Zusammenarbeit in diesem Bereich nur profitieren können, wird diese Achse in Zukunft wahrscheinlich eine immer wichtigere Rolle spielen.

Nach dem Verlust der sowjetischen Unterstützung und infolge seiner eigenen Unterlegenheit gegenüber Israel im konventionellen militärischen Bereich, hat Syrien bedeutende Mittel in den Kauf und die Entwicklung unkonventioneller Waffen, Langstrecken-Angriffssysteme und Aufklärungssysteme investiert, um seine abschreckende Stellung und sein Kampfpotential zu verstärken. Durch den Erwerb von Scudraketen (B und C), die mit chemischen Sprengköpfen ausgerüstet sind, ist es Syrien gelungen, ein verhältnismässig stabiles Abschreckungsgleichgewicht zwischen den beiden Ländern zu schaffen und die militärische Handlungsfreiheit Israels herabzusetzen. Israel kann nun keinen Präventivkrieg gegen Syrien mehr starten, strategische Ziele bombardieren oder Syriens lebenswichtige Interessen bedrohen, ohne seine eigenen Bevölkerungszentren zu gefährden. Syrien wird nach der Aufrechterhaltung dieses Potentials streben, indem es einen Bestand an B- und C-Scudraketen und M-9-Missiles bewahrt, der gross genug ist, Israels Raketenabwehr zu überwältigen, und indem es relativ zielgenaue und schwer erkennbare Marschflugkörper entwickelt, welche die gegen sie gerichteten Abwehrmassnahmen durchdringen.
Obwohl Syrien aber gegenwärtig die Möglichkeit besitzt, israelische Mobilmachungsbemühungen durch chemische Angriffe während der Anfangsphase eines Krieges zu behindern, wird es durch die Androhung einer massiven Vergeltung wahrscheinlich abgeschreckt. Syrien hat folglich seine Prioritäten auf die Entwicklung seiner Fähigkeit gesetzt, die israelische Mobilmachung mit konventionellen Mitteln zu unterbrechen. Dazu wird es versuchen, Raketen wie z.B. M-9 und Marschflugkörper der ersten Generation mit grösserer Reichweite und Zielgenauigkeit als seine jetzigen zu erwerben; diese werden mit hochentwickelten Submunitions-Sprengköpfen ausgerüstet. Syrien wird ebenfalls den Versuch unternehmen, neue aus der Luft abgefeuerte Standoff-Präzisionsmunitionen zu kaufen, sobald diese für den Export freigegeben werden. Diese Massnahmen werden die weitere Aufrechterhaltung der strategischen Abschreckung Syriens gewährleisten und seine Fähigkeit vergrössern, operationelle und taktische Ziele in einer frühen Kriegsphase anzugreifen; dadurch soll der bedeutende Rückstand seines Potentials gegenüber Israel aufgeholt werden.