25 Jahre Petit-Palais
Von Oscar Ghez, Präsident und Gründer des Museums Petit-Palais
Gerne werde ich Ihnen einige Erläuterungen zur Entstehung meiner Sammlung geben, die im Petit-Palais besichtigt werden kann. Seit 1923 war ich als Industrieller tätig und besass zusammen mit meinem Bruder Kautschuk-Fabriken. 1939 übernahmen wir die Betriebe, die der Gruppe Pirelli in Frankreich gehörten. Meine Leidenschaft für das Sammeln von Gemälden beruht vielleicht auf genetischen Erbanlagen... Auch mein Vater und mein Grossvater waren nämlich Kunstsammler, und ich kann mich erinnern, dass ich bereits als Kind Muscheln, später dann alte griechische und römische Münzen zusammengetragen habe; danach befasste ich mich mit Kunstgegenständen und insbesondere mit Miniaturen.
Während meiner Tätigkeit in der Industrie, die sich - mit Ausnahme einiger Jahre in den Vereinigten Staaten - von 1939 bis 1960 in Frankreich abspielte, interessierte ich mich ganz besonders für die Malerei, und meine Sammlung begann mit einem kleinen Gemälde von Steinlen aus dem Jahre 1985, das einen herrlichen "14. Juli" darstellte. Dieses kleine Werk verstärkte den "Virus", der mich bereits als Kind erfasst hatte. Heute gilt mein Interesse der Malerei allein, und ich habe mich eindeutig auf französische Künstler spezialisiert, und zwar aus der Epoche vom Impressionismus bis zur Ecole de Paris.
Nach meinem Rücktritt aus den Geschäften 1960 befasste ich mich weiterhin mit den Malern aus der Zeit, die ich zu sammeln begonnen hatte, wobei einige von ihnen weltweit bekannt waren, andere hingegen trotz bemerkenswerter Leistungen aus verschiedenen Gründen noch nicht den ihnen zustehenden Bekanntheitsgrad erreicht hatten. Ich zitiere hier beispielsweise die Namen Van Dongen, Valtat, Kisling, Steinlen usw. 1964 wurde ich vom Museum für moderne Kunst in Turin aufgefordert, die Werke aus meiner Sammlung auszustellen. Diese erste Ausstellung trug den Titel "Von Renoir bis Kisling" und umfasste 228 Werke. Sie erlebte einen noch nie dagewesenen Erfolg. Danach folgte eine Ausstellung auf die andere, 1964 und 1965 im Museum im Château d'Annecy, dann in den Museen von Besançon, Tel Aviv und Lausanne. Im Jahre 1964 fand in Israel ebenfalls eine sehr schöne Ausstellung im Pavillon Helena Rubinstein statt, das zu den Museen von Tel Aviv gehört. Die Sammlung, die ich Jahr für Jahr durch den Erwerb neuer, immer bedeutenderer Werke vergrössert hatte, erlangte somit eine gewisse Berühmtheit. Auf diese Weise beschloss ich die Schaffung eines Museums, um meine Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und das Petit-Palais wurde am 18. November 1968 eröffnet.
Ich wurde eigentlich oft gefragt, weshalb ich ein Museum gegründet hätte, und ich antwortete jeweils, dass ich, wenn ich Beethovens Erbe gewesen wäre, nicht das Recht gehabt hätte, die 5. Symphonie z.B. ganz für mich alleine zu behalten. Kunstwerke der Malerei oder der Musik gehören der gesamten Menschheit. Sie verkörpern ein Bindeglied zwischen den Völkern, und wenn wir eine Ausstellung organisieren, reisen zahlreiche Gesandte in Form von Gemälden von einem Land zum andern, wobei jedes Werk Träger einer ganz bestimmten Botschaft ist.
Seit der Eröffnung des Petit-Palais fanden immer wieder Ausstellungen statt, entweder in Genf selbst, oder aber in aller Welt, in den Vereinigten Staaten, in Brasilien, Südafrika, Japan und Europa. Für einige Maler konnte ich dank dem Umfang der Sammlung vollständige Ausstellungen organisieren, wie z.B. für Steinlen oder Tarkhoff, die in zahlreichen Museen gezeigt wurden, darunter auch im Puschkin-Museum in Moskau oder in der Ermitage in St. Petersburg, was für mich eine phantastische Krönung meiner Tätigkeit darstellte. Mir wurde ebenfalls das Vergnügen zuteil, durch den Verleih von Werken zusammen mit dem Musée National d'Art Moderne von Paris zur Eröffnungsausstellung des neuen Museums in Tel Aviv beizutragen. Jedes Jahr werden auch Gemälde für diverse Museumseröffnungen nach Japan versandt, denn die Kunst aus dem Westen wird in diesem Land sehr geschätzt. Wir hatten im Petit-Palais ebenfalls die Gelegenheit, zwei Ausstellungen japanischer Künstler durchzuführen, und wir haben feststellen können, dass bestimmte Maler zwar den typischen Stil ihres Landes weiterführen, dass aber die meisten von ihnen stark vom Einfluss der westlichen Kunst und vor allem der Impressionisten geprägt worden waren.
Darüber hinaus hat es der Zufall gefügt, dass ich eine erste Gruppe von Werken von Malern erwerben konnte, die in der Deportation gestorben waren, alle der Ecole de Paris angehörten und in Frankreich gewohnt hatten. Diese Sammlung habe ich durch Neuerwerbungen erweitert. Die meisten Werke dieser Sammlung stellen heute ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus dar und befinden sich im obersten Stockwerk der Universität von Haifa, die auf der Spitze des Karmelhügels mit einer erstaunlichen Aussicht erbaut wurde. Der "Sitzende Gaukler" von Adolphe Feder veranschaulicht gut die Werke und die geistige Haltung dieser Künstler. Adolphe Feder wurde am 16. Juli 1887 in Odessa geboren, am 13. Dezember 1943 deportiert und starb in Auschwitz. Wie viele andere Jugendliche seiner Zeit wurde er in der revolutionären Bewegung mitgerissen und war im "Bund" aktiv. Nach dem Pogrom von 1905 verliess er Russland. 1908-1909 studierte er an der Akademie für Schöne Künste von Genf. Im Jahre 1912 traf er in Paris ein, wo er das Atelier Julian und dasjenige von Matisse regelmässig besuchte. Er lernte Modigliani, Othon Fiesz, André Lhote und den Bildhauer Lipchitz in der "Rotonde" kennen. Gleich nach seiner ersten Teilnahme am Salon d'Automne von 1912 wurde er als Gesellschafter aufgenommen. Danach besuchte er Südfrankreich, dessen lichterfüllte Landschaften er malte. 1926 reiste er nach Palästina, wo er von der Wärme der Natur, von der Landschaft begeistert war. Jerusalem entzückte ihn, der orientalische Menschenschlag nahm ihn für sich ein. Als die Truppen Hitlers auf Paris zumarschierten, nahm er mit der Widerstandsbewegung Kontakt auf, doch er wurde verraten, fiel am 19. Juni 1942 in die Hände der Gestapo und entkam der Deportation nicht.
Die Werke des Petit-Palais werden aufgrund der diversen Strömungen, aus denen die Sammlung besteht, unter den unterschiedlichsten Titeln gezeigt; dazu gehören die Impressionisten, die Post-Impressionisten, die Neo-Impressionisten - wie beispielsweise die Pointillisten, die Maler Nabis und von Pont-Aven - die Fauvisten, die Maler der Ecole de Paris, zu denen auch Kubisten und Surrealisten gehören, und ausserdem besitzen wir eine äusserst sympathische Sammlung des Douanier Rousseau und der grossen naiven Maler Frankreichs des 20. Jahrhunderts, wie Desnos, Nachfolger des Douanier Rousseau, Bombois, Bauchant, Lagru und Van der Steen.
In diesem Jahr feiert das Petit-Palais also seinen 25. Jahrestag, und die Leser von SHALOM möchten vielleicht gerne wissen, was alles zur Instandsetzung des Gebäudes und für das Prestige des Museums getan wurde. Es waren 18 Monate Arbeit und der Einsatz von über zwanzig Berufsgruppen erforderlich, die Gesimse wurden renoviert, zum Teil sogar ganz erneuert, und der grösste Teil des Sandsteins ersetzt. Im Innern hingegen wurden umfassende Malarbeiten ausgeführt. Die Beleuchtung der beiden unterirdischen Säle wurde zugunsten der neuesten Techniken ersetzt.
1967 waren Arbeiten unternommen worden, um dieses zweigeschossige Privathaus des Second Empire zu erweitern und sechs Stockwerke zu schaffen, wovon drei sich im Untergeschoss befinden. Diese Grabungsarbeiten hatten zur Entdeckung von alten Umfassungsmauern der Genfer Altstadt geführt. Fünf Stöcke sind für die ständigen und die zeitlich befristeten Ausstellungen bestimmt, der sechste (3. Untergeschoss) dient der Lagerung von Gemälden.
Zu den Künstlern, von denen einige Werke in dieser Ausgabe von SHALOM abgebildet sind, kann ich Ihnen berichten, dass ich Mané-Katz besonders gut gekannt habe: er war klein und gedrungen, mit langen weissen Haaren. Er gehörte zu den auffälligsten Persönlichkeiten der "Coupole" im Montparnasse-Viertel. Als humorvoller Mann hatte er immer einen neuen Witz zu erzählen. Neben seiner Begabung als Künstler war er auch ein herzlicher und sehr grosszügiger Mensch. Sein ganzes Leben lang sammelte er Gegenstände der Judaika; diese Sammlung befindet sich heute mit allen seinen Werken im Museum Mané-Katz in Haifa, in dem Haus, in dem er lebte und das er der Stadt vermachte. Das Gebäude überblickt die ganze Bucht von Haifa und liegt nur wenige Meter vom berühmten Hotel "Dan" entfernt, so dass nach Haifa reisende Touristen das Museum nicht verfehlen können.
Das Gemälde "Der irrende Jude" von Chagall wurde 1923 gemalt, als er in die Sowjetunion zurückkehrte, wo er während einer bestimmen Zeit Kommissar der Schönen Künste war. Dieses Werk ist aussergewöhnlich, wohl einzigartig durch die Tatsache, dass das verwendete Material extrem dick aufgetragen wurde, während die meisten seiner Gemälde mit flüssiger und sehr glatter Farbe gemalt wurden. Auf diesem Bild wird an Vitebsk erinnert, seine Geburtsstadt mit ihrem Esel, ihrer Kirche, einigen Häusern und dem berühmten irrenden Juden; die Farben sind von ausserordentlicher Schönheit, und dieses Gemälde wird von allen Besuchern des Museums sehr bewundert.
Das Gemälde von Kisling mit dem Titel "Blonder Knabe mit gestreiftem Pullover" ist ein ansprechendes Werk, auf welchem man, unter anderem, die vollkommene Ausführung der Hände bestaunen kann. Interessanterweise ist festzustellen, dass Kisling zu Beginn seiner Laufbahn Schwierigkeiten mit dem Malen von Händen bezeugte, und er hat sehr hart daran gearbeitet, um diesen Körperteil endlich perfekt zu malen. Dieses Werk wird im Lexikon der Maler von Hazan reproduziert. Kisling, den man den "Prinzen von Montparnasse" nannte, starb 1953. Gepflegt hat ihn Doktor Barrieu, der ebenfalls Modiglianis Arzt war und die Totenmaske dieses letzteren anfertigte.
Gegenwärtig zeigen wir in Tossa de Mar, einem kleinen spanischen Ort bei Barcelona, eine Ausstellung von Georges Kars, von dem Sie hier die Reproduktion des Werkes "Porträt von Maurice Utrillo" sehen. Georges Kars hielt sich regelmässig in dieser kleinen Stadt auf, wo er zahlreichen Malern der Ecole de Paris begegnete, die sich hier ausruhten, die Sonne Spaniens genossen und malten.
Da die Malerei und die Bildhauerei eine universelle Sprache verkörpern, möchte ich die von mir für den Petit-Palais ausgewählte Devise an den Schluss dieses Artikels setzen: "DIE KUNST IM DIENSTE DES FRIEDENS".