Stockender verlauf der verhandlungen | |
Von Emmanuel Halperin, unserem Korrespondenten in Jerusalem | |
Folgende Anzeige erschien vor kurzem in einer arabischen Zeitung von Jerusalem: der Unterzeichner, ein lokaler Fatah-Verantwortlicher, bittet die Leser, den Gerüchten keinen Glauben zu schenken, nach denen er gewalttätige Anschläge gegen Israelis verurteilt haben soll. Wie kann man ihm bloss solche Schmach antun ? Er protestiert, entrüstet sich, seine Freunde und Bekannte wissen sehr wohl, dass er es nicht gewesen sein kann. Jemand will ihn wirklich in Verruf bringen.
Diese Geschichte erscheint jedem unglaublich, der die gegenwärtigen Ereignisse nur von fern oder unaufmerksam verfolgt. Natürlich kann man die Veröffentlichung einer derartigen Anzeige durch die Furcht erklären, die den Schreiber erfüllt, dessen einziges Ziel es folglich ist, sich von jedem Verdacht zu befreien, vielleicht gar seine Haut zu retten. Doch selbst wenn es so wäre, ist dies nicht bezeichnend für die Haltung einer grossen Mehrheit und die öffentliche Meinung der Palästinenser in den Gebieten ? Wenn diese Menschen Angst haben ganz offen zu bekennen, dass das Ziel des Friedens das friedliche Zusammenleben mit ihren Nachbarn ist, welchen Sinn hat dann der politische "grosse Sprung nach vorn", den die israelische Regierung im Spätsommer vollbracht hat ? Grosser Sprung oder Flucht nach vorn, die Diskussion ist eröffnet und wird nicht so bald beendet sein. Man musste es wagen, sagen die einen - sei es aus Überzeugung, sei es aus Zynismus - und die offensichtliche Schwäche der PLO gab uns in einem günstigen Moment die Gelegenheit, endlich den notwendigen Dialog zu beginnen. Schwäche ? antworten die anderen, ein treffender Ausdruck, doch er bezeichnet weniger die PLO als die Regierung Rabin. Denn diese Regierung hat doch wohl ein Jahr nach ihrem Amtsantritt einsehen müssen, dass sie trotz ihres sehr viel mässigeren Profils als die vorangehende Regierung auf dem Weg zum Frieden nicht sehr viel vorangekommen ist. Oder vielmehr überhaupt nicht. Und dass sie zur Rechtfertigung ihrer Tätigkeit, zur Rechtfertigung ihrer Existenz ein ungefähres, vages, hastig zusammengeschustertes Abkommen mit Arafats Repräsentanten in Oslo aus dem Boden stampfen, sozusagen improvisieren musste. Die Tage nach dem Abkommen von Oslo haben bei allen, Befürwortern und Gegnern, ein unangenehmes Gefühl des Wirrwarrs hinterlassen. Das ist doch nicht schlimm, das wird schon wieder, sagen nun die Unterzeichner des Abkommens, das Wichtigste wurde erreicht, alles andere wird sich allmählich vor Ort ergeben. Die anderen hingegen haben nun ein einfaches Spiel - und völlig freie Hand - mit dem Finger auf die Lücken und Ungereimtheiten zu weisen. Nehmen wir beispielsweise das Versprechen, das Rabin erhielt, die PLO-Charta aufzuheben. Davon ist heute nicht mehr die Rede. Weil es unmöglich ist, weil Arafat, selbst wenn er es möchte, innerhalb seiner Organisation nicht über ausreichende Unterstützung verfügt. Wusste man dies aber nicht bereits im September ? Spielt es wirklich keine Rolle, dass die Verhandlungen mit einer Organisation geführt werden, die in ihren Statuten weiterhin die grundlegenden Rechte Israels und des jüdischen Volkes verleugnet ? Dies führt uns direkt zur Frage nach der Glaubwürdigkeit Arafats und des harten Kerns, der ihm treu bleibt. Ausser der Tatsache, dass der Chef der PLO dafür bekannt ist - höchstwahrscheinlich einer seiner Grundsätze -, seinen Verpflichtungen nie nachzukommen, ist sein Einfluss auf die arabische Bevölkerung in den Gebieten zumindest nicht verbürgt. Die Wahlen an der Universität von Bir Zeit in der Nähe von Ramallah haben es gezeigt: die Anhänger des Fatah wurden von einer Koalition der palästinensischen Gegner des Abkommens mit Israel in die Enge gedrängt. Dies geschieht jedoch zu einem Zeitpunkt, da die einfachsten taktischen Überlegungen die Palästinenser aus Judäa, Samaria und Gaza veranlassen sollten, eine gemässigte Haltung einzunehmen, um die öffentliche Meinung Israels zu beschwichtigen, selbst wenn sie sich sofort nach der Durchführung des Abkommens wieder dem Extremismus zuwenden. Natürlich kann man diese Palästinenser zu ihrer Freimütigkeit beglückwünschen, da ihnen gegenwärtig ein wenig Zurückhaltung gute Dienste leisten könnte, doch ihr Selbstbewusstsein kann auch ganz andere Gründe haben: die Überzeugung, dass die israelische Regierung, ganz egal was sie tun, ganz egal was sie sagen, sich nicht mehr zurückziehen, nichts mehr zurücknehmen kann, dass die Sache "gelaufen" ist. Wie könnte man jetzt auch zugeben, "wir haben uns geirrt" oder gar "wir wurden ausgenutzt", während die ganze Welt, die Gemeinschaften der Diaspora eingeschlossen, die Herren Rabin und Peres zu ihrem Mut und zu ihren Führungsqualitäten gratuliert ? Wie soll man eingestehen, man habe sich aus Schwäche, vielleicht Müdigkeit - die, zugegebenermassen, von der Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit geteilt wird - zu extrem gefährlichen Zugeständnissen hinreissen lassen ? So versuchen halt die israelischen Spitzenpolitiker, den palästinensischen Widerstand gegen die Abkommen zu minimalisieren und zu relativieren, oder wie Beilin, der Staatssekretär für Äussere Angelegenheiten, zu erklären, dass es einer Niederlage der Regierung gleichkäme, "wenn der Terrorismus nicht innerhalb von zwei Jahren unter Kontrolle gebracht wird". Zwei Jahre ! Damit gibt man sich reichlich Spielraum. Vor allem, weil die israelischen Behörden sich in zwei Jahren in Cisjordanien und Gaza nur noch mit Mühe werden Respekt verschaffen können. Steckt eure Nase nicht in fremde Angelegenheiten, werden die palästinensischen Behörden dann sagen, gestützt auf ihre 20'000 Mann umfassende Polizeitruppe und auf ihre mehr als berechtigte Hoffnung, dass der Versuch Realität wird, d.h. dass sich das "self-government" in einen souveränen palästinensischen Staat verwandelt. Eine weitere bedauerliche Tendenz der Verantwortlichen in Jerusalem besteht darin, sich fast täglich gegen die jüdischen Bewohner der Gebiete zu wenden. Die arabischen Extremisten greifen sie an, weil sie existieren, und wenn sie gar reagieren, dann werden sie zu einem Hindernis für den Frieden. Die oft sehr gewalttätigen Reaktionen dieser Israelis sind gewiss nicht gerechtfertigt oder entschuldbar. Kann man aber ihre Angst, ihre Besorgnis, ihre Wut nicht verstehen ? Schliesslich haben sich die 120'000 Bewohner der jüdischen Ortschaften nicht rein zufällig dort niedergelassen, sondern infolge einer Regierungspolitik, mit der sich die Arbeitspartei meist einverstanden erklärte. Wenn sie durch Kugeln oder Steine umkamen, waren sie letztes Jahr noch "Opfer der Intifada". Heute gelten sie bestenfalls als "Opfer des Friedens", schlimmstenfalls als Bremsklötze oder Störenfriede. Der Winter droht sehr hart zu werden. Die Schwierigkeiten in Gaza und Jericho, die Abkommen Rabin-Arafat anzuwenden, scheinen oft unüberwindbar. Man wird bestimmt Lösungen finden, da man auf beiden Seiten ganz offensichtlich zum Ziel gelangen, das Gesicht nicht verlieren und zu jedem Preis beweisen möchte, dass man auf das richtige Pferd gesetzt hat. Doch die Regierung Rabin steht auf wackligen Beinen. Ohne die Partei Schas, die sich immer noch von der Koalition fernhält, besitzt sie keine Mehrheit im Parlament; sie behauptet sich nur dank der immer teurer bezahlten Unterstützung durch die fünf nationalistischen arabischen Abgeordneten, von denen einer ein Ministerportefeuille verlangt. Deutliche Fortschritte wurden zweifellos mit Jordanien erzielt, das mit Israel keine ernsthaften Streitigkeiten besass. Doch Syrien scheint immer noch nicht zu Verhandlungen bereit zu sein. Und die Hoffnungen eines grossen "gemeinsamen Marktes" im Nahen Osten gleichen gegenwärtig mehr Utopien als realisierbaren Plänen. Hat die arabische Liga nicht vor kurzem beschlossen, trotz allen Friedensgesprächen den Boykott gegen Israel aufrechtzuerhalten ? |