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Inhaltsangabe Interview Frühling 2006 - Pessach 5766

Editorial
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Pessach 5766
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Politik
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Interview
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    • Judentum und Geisteshöhe [pdf]

Judäa-Samaria
    • Schande und Hoffnung [pdf]

Analyse
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Reportage
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Wissenschaft und Forschung
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Kunst und Kultur
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Ethik und Judentum
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Das Gute Gedächtnis
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Judentum und Geisteshöhe

Von Roland S. Süssmann

«Gelobt sei der Allmächtige, unser Herr, König des Universums, denn er ist gut und tut Gutes!». Diesen Segensspruch verwenden wir nach dem Degustieren eines ausgezeichneten Weins. Seit Jahren nehmen wir an der Verkostung zahlreicher grosser Weine teil: dazu gehören der Wein der wissenschaftlichen Forschung, derjenige der Lehre und Erziehung, derjenige der Bewahrung und schliesslich derjenige des Fortschritts im Wissen. Wir tragen zum Geschick der Menschheit bei, indem wir phantastische Familien aufziehen. Ich persönlich habe einen 2000 Jahre alten Traum verwirklicht - denjenigen von der Rückkehr meines Volkes nach Jerusalem, in seine Heimat.» Mit diesen Worten begann Professor ROBERT J. AUMANN seine Dankesrede anlässlich des offiziellen Banketts zur Überreichung des Nobelpreises, das am 10. Dezember 2005 in Stockholm stattfand und wegen des Preisträgers aus einem streng koscheren Mahl und entsprechenden Weinen bestand.
Als an diesem Abend Professor Robert J. Aumann vor den Fernsehkameras der ganzen Welt aus den Händen von König Carl Gustav XVI. von Schweden die Medaille und das Diplom des Nobelpreises für Wirtschaft in Empfang nahm, empfanden wir diesen Moment als etwas sehr Starkes, Bewegendes, Intensives und vor allem Bedeutungsvolles. Die Tatsache, dass ein frommer Jude mit dem höchsten Preis der Welt für seine ausgezeichneten Leistungen geehrt wird, ist ein Beweis dafür, dass die Harmonie zwischen einem in tiefster Frömmigkeit gelebten jüdischen Dasein und der wissenschaftlichen Forschung nicht nur möglich ist, sondern auch zum Erfolg führt. Dazu könnte man die interessante Anekdote berichten, dass Professor Aumann mit seiner gesamten Familie nach Stockholm gereist ist: seiner neuen Frau, seinen fünf Kindern und ihren jeweiligen Ehefrauen, der Witwe seines im Libanonkrieg gefallenen Sohnes Schlomo, seinen 19 Enkeln und 2 Urenkeln. Da die Feier zur Preisverleihung unmittelbar nach Ende des Schabbats stattfand, hatte sich die gesamte israelische Delegation in einem kleinen Hotel in 200 m Entfernung vom Schauplatz der Feierlichkeiten einquartiert. Der Professor und sein Umfeld konnten sich auf diese Weise nach Ablauf des Schabbats schnell umziehen und 90 Sekunden vor dem Eintreffen des Königs und dem Schliessen der Türen im Festsaal Platz nehmen.
Gibt man den Namen von Professor Robert J. Aumann in die Suchmaschine Google ein, erhält man 30'800 Treffer zu seiner Person im Internet. Seine umfangreiche Tätigkeit und die unendlich lange Liste seiner Publikationen und Veröffentlichungen können also kaum auf wenigen Zeilen zusammengefasst werden. Anzuführen ist aber auf jeden Fall, dass Robert Aumann am 8. Juni 1930 in Frankfurt geboren wurde und dass seine Eltern 1938 in die USA ausreisen konnten. 1950 erlangte er das Diplom eines Bachelor of Science in Mathematik am City College von New York, später den Doktortitel 1955 am Massachusetts Institute of Technology (M.I.T), während er seine Postdoc-Arbeit an der University of Princeton schrieb. 1956 beschloss er sich in Israel niederzulassen, wo er eine Stelle an der Fakultät für Mathematik der Hebrew University erhielt, an der er seit nun 50 Jahren tätig ist. Im Jahr 1968 wurde er zum Professor und in 2000 zum Emeritus ernannt. Er gehört zu den Mitbegründern des «Center for Rationality» der Hebrew University von Jerusalem. Und nun gewann er als vierter Israeli innerhalb von vier Jahren den Nobelpreis nach Daniel Kahaneman (Wirtschaft) 2002 sowie Aaron Ciechanover und Avram Hershko (Chemie) 2004.
Folglich können wir heute sagen, die Verleihung der weltweit prestigereichsten Auszeichnung an einen israelischen Wissenschaftler erfülle uns «wie üblich» mit Freude und Stolz. Doch diesmal besitzt dieser Preis eine zusätzliche Dimension, da er an einen orthodoxen Juden ging. Wir wollten mehr darüber erfahren, vor welchem Hintergrund Professor Robert J. Aumann seine Auszeichnung entgegennehmen konnte, und haben ihn in seinem winzigen Büro an der Hebrew University von Jerusalem getroffen.

Glauben Sie, dass Sie durch den Gewinn des Nobelpreises die fromme Jugend dazu ermutigen werden, wissenschaftliche Karrieren anzustreben und besonders hohe Leistungen zu erbringen?

Ich habe bewiesen, dass es möglich ist, gute Arbeit in irgendeinem Bereich zu leisten und gleichzeitig ein Leben in vollkommener Harmonie mit den Vorschriften und Werten der Torah zu führen. Wenn ich auf diese Weise unsere Jugend inspirieren konnte, macht mich das glücklich.

Sprechen wir doch von Ihrer Arbeit und Ihrer Forschung im Bereich der «Spieltheorie», mit der man die Untersuchung von Situationen bezeichnet, in denen Individuen interagieren, aber jeweils ein unterschiedliches Ziel verfolgen. Jeder versucht das zu erreichen, was für ihn selbst das Beste ist. Es muss bestimmt werden, was unternommen werden muss, um Erfolg zu haben. Wie kann Ihre Theorie auf den arabisch-israelischen Konflikt übertragen werden?

Ein wesentliches Element meiner Theorien beruht auf der Aussage, dass Kriege und Konflikte mit dem Krebs etwas gemeinsam haben. Man muss zunächst die Ursachen begreifen, bevor man den Versuch unternimmt, sie zu heilen. Der Krieg ist ein Übel, das so alt und so unveränderlich ist wie die Welt, und die Menschen leben seit Jahrtausenden mit dieser Plage. Merkwürdigerweise wird alles unternommen, um die Konflikte zu lösen, doch es wurde herzlich wenig getan, um ihren Ursprung zu verstehen. Die Analyse der psychologischen Elemente und die Untersuchung der Motive, die beim Ausbruch eines Kriegs ins Spiel kommen, werden fast vollständig ignoriert. Daher bleibt alles Suchen nach Lösungen, jeder «Friedensprozess» und jeder erdenkliche Vertrag mittel- bis langfristig toter Buchstabe, denn sie befassen sich nicht mit der Wurzel des Problems.
Bei uns ist die Grundlage des Konflikts selbstverständlich zwischen Juden und Arabern zu suchen. In unseren Reihen gehen jedoch die Meinungen darüber, wie dieser Kampf geführt werden soll, weit auseinander. In meinen Augen ist der wichtigste Grund für die progressive Verschlechterung der gegenwärtigen Situation darauf zurückzuführen, dass ein grosser Teil der Bevölkerung verwirrt ist. Leider wissen viele Menschen in Israel heute nicht mehr, warum sie hier leben. Sie verstehen nicht, was ihre Präsenz in diesem Land bedeutet und weshalb sie diese Schwierigkeiten auf sich nehmen und mit all den Problemen leben müssen, die das Leben in Israel mit sich bringt, insbesondere mit der Gewalt und dem Tod. Ich kann sehr gut verstehen, warum dies für jemanden schwierig ist, der nicht in irgendeiner Weise mit der jüdischen Tradition verbunden ist. Irgendwie besitzen zahlreiche in Israel lebende Menschen noch einen Bezug zum Judentum, auch wenn sie nicht fromm sind. Doch seit einigen Generationen gibt es immer mehr, die sich einzig und allein auf den weltlichen Zionismus berufen und die Verbundenheit mit dem Judentum verloren haben. Dazu muss man wissen, dass die Begründer dieser Art des Zionismus, wie z.B. Ben Gurion, tief in der jüdischen Tradition verwurzelt waren, was heute leider verloren gegangen ist. Dieser Verlust des Kontakts zu den Werten des Judentums, der meiner Ansicht nach nur durch religiöse Frömmigkeit aufrechterhalten werden kann, führt unvermeidlicherweise zu einem Schwinden der Motivation in Bezug auf das Land. Dies ist ein schwerwiegendes Problem, denn daraus ergibt sich eine gewisse Ermüdung angesichts des täglichen Kampfes, den man beim Leben hier führen muss, und bewirkt das Suchen nach einfachen, sofortigen Lösungen. So wurden die Juden beispielsweise in der Illusion, damit die Araber friedlich zu stimmen, in Gusch Katif aus ihren Wohnungen evakuiert, was ganz unmoralisch und brutal war, und morgen werden andere ihre Häuser in Judäa und Samaria verlassen müssen. In einem unvermeidlichen nächsten Schritt wird man die Juden aus dem östlichen Teil von Jerusalem vertreiben, bevor man dies auch im westlichen Teil der Stadt tut. Die Araber sind nicht dumm und wissen ganz genau, was in dieser Hinsicht in der israelischen Gesellschaft passiert. Wussten Sie, dass heute von Arabern betriebene Touristenbusse Nichtjuden nach Ostjerusalem fahren, um ihnen zu zeigen wo, gemäss ihrem Sagen, ihre Eltern vor 1948 lebten und wo sie sich nach dem Abzug der Juden niederlassen sollen.? Danach kommt unweigerlich die Phase, in der innenpolitischer Druck ausgeübt wird, damit Israel die Rückkehr der arabischen Flüchtlinge erlaubt, und man wird über eine Art Kompromiss verhandeln, dass z.B. «nur» 600'000 Araber zur Niederlassung in Israel berechtigt sind, und nicht 1 Million. Ich bin überzeugt, dass die Existenz des Staates auf dem Spiel steht, wenn wir in der heute eingeschlagenen Richtung weitergehen. Man muss sich klar machen, dass die Menschen, die ihre Motivation verloren haben, durch das Einräumen von Zugeständnissen der Meinung sind, den Frieden und eine stabile politische Lage zu fördern, während sie im Gegenteil damit dem Krieg und der Gewalt Vorschub leisten. Im Verlauf unserer gesamten Geschichte haben wir gesehen, dass Nachgiebigkeit zu noch mehr Druck führt, was letztendlich nur ein rationales Vorgehen darstellt. Ich komme auf das zurück, was ich Ihnen bereits sagte: die Tatsache, dass sehr viele Bürger sich völlig von unseren Traditionen gelöst haben, bedeutet, dass sie in Israel leben, weil sie das Land als ihre Heimat betrachten; sie sind, bestimmt zu Unrecht, der Ansicht, dass sie die Araber durch ihr «Entgegenkommen» uns gegenüber milder stimmen können, damit sie uns endlich in Ruhe leben lassen. Doch es trifft genau das Gegenteil ein. Diese Entwicklung konnte aber letztendlich nur stattfinden, weil zahlreiche Menschen ihre Wurzeln und Traditionen nicht mehr kennen.

Diese Situation wurde recht schnell zu einer konkreten Tatsache. Wie erklären Sie sich dies?

Es hat immerhin drei bis vier Generationen gedauert. Die Dinge verschlimmern sich sehr schnell, und heute sehen wir die direkten Folgen aus dem mangelnden Interesse einer gesamten Generation von weltlichen Zionisten, die sich vom Judentum abgewendet haben. Sie wollten einen neuen Juden schaffen, den «Homo israelinus» - einen Menschenschlag, der mit dem Juden der Diaspora und der Ghettos nichts gemeinsam hat. Kurz, einen Juden ohne Torah. Ihre Enkel oder Urenkel gehen nur widerstrebend zur Armee, wenn sie überhaupt Militärdienst leisten, und versuchen die kämpfenden Truppen um jeden Preis zu meiden. Letztere bestehen heutzutage immer öfter aus jungen Leuten, die Familien des nationalreligiösen Lagers angehören. Man darf nicht vergessen, dass die Situation in Israel ganz anders ist als in der Diaspora. Wenn jemand im Ausland beschliesst, seine Religion aufzugeben, kann er dies tun und sich mit der Zeit völlig in die Gesellschaft des Landes integrieren, in dem er lebt. Innerhalb von weniger als zwei Generationen haben die Kinder ihre jüdische Abstammung unter Umständen völlig vergessen. Hier lebt die Bevölkerung aufgrund der geografischen Enge in einer Gesellschaft, die mehrheitlich einfach jüdisch ist. Es kommt zwar zu Eheschliessungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften, doch dies bleibt ein sehr seltenes Phänomen. Es ist folglich unmöglich, in Israel zu leben und sich bewusst von jeder jüdischen und israelischen Realität auszuschliessen. Wir beobachten eine immer grössere Gruppe von Menschen, die nicht wirklich überzeugt sind, und von denen man verlangt, erbitterte Verfechter einer Sache zu sein, die ihnen in gewisser Weise fremd ist. Daher ist eine der Hauptursachen für den Konflikt in der Tatsache zu suchen, dass wir wegen der Abwendung von der religiösen Frömmigkeit und von unseren Traditionen die Beziehung zum Land Israel verloren haben und nicht mehr von unserem Recht auf diesen Boden überzeugt sind.

Soll das bedeuten, dass alle Anhänger des weltlichen Zionismus vergessen haben, welche wesentlichen Gründe zu ihrer Präsenz auf dem jüdischen Territorium Israels geführt haben?

Nein, denn ich kenne viele Menschen, die gemäss dieser Auslegung des Zionismus leben und ausgezeichnete Staatsbürger, dem Staat und der Nation sehr ergeben sind. Doch parallel dazu stelle ich fest, dass viele nicht wissen, weshalb sie hier leben, sie haben die Orientierung verloren, wollen aber dennoch hier wohnen bleiben, weil sich ihr Heim und ihre Familie in Israel befinden. Folglich begnügen sie sich mit dem Suchen nach kurzfristigen Lösungen, und zwar anhand von zwei Sätzen, die immer häufiger in Gesprächen auftauchen: «Es muss etwas unternommen werden» und «So kann das nicht weitergehen». Der zweite Satz beweist deutlich, dass man den Kampf aufgibt. Dies alles entspricht aber nicht der Wahrheit, und wir können tatsächlich «so weitermachen». Es ist von grösster Bedeutung, dass wir den Arabern diese Botschaft vermitteln. Sie müssen begreifen, dass wir den Kampf sehr ernst nehmen, um weiterhin in Israel leben zu können, und dass wir bereit sind ihnen entgegenzutreten, auch wenn sie den Konflikt noch weitere 100 Jahre weiterführen wollen, dass wir aber gleichzeitig das Land auf nationaler wie auch auf individueller Ebene weiterentwickeln. Wenn sie das verstanden haben, wird sich die Lage verändern. Leider ist ein grosser Teil unserer Bevölkerung von dieser Botschaft nicht überzeugt und auch nicht bereit, weitere 100 Jahre zu kämpfen. Das merken die Araber natürlich und sie empfinden es als Einladung, den Druck und ihren Einfluss auf uns weiterhin zu verstärken. Sie wissen, dass wir den Frieden wollen, irgendeinen Frieden und zwar zu jedem Preis. Daher stellen sie natürlich unglaubliche Forderungen.

Alle ihre Behauptungen werden durch Fakten gestützt, insbesondere seit Oslo. Wir haben gesehen, dass die jüdische Schwäche den arabischen Terrorismus angestachelt hat, wie viele Menschenleben sie gekostet hat und wie sie die politische Unverfrorenheit der Araber auf die Spitze trieb. Die politische Führung Israels ist zwar von diesen Tatsachen und Fakten nicht überzeugt, kann aber sie aber auch nicht leugnen. Wie erklären Sie sich, dass der gesamte heute geführte politische Diskurs sich darauf beschränkt, den Arabern immer mehr Zugeständnisse zu machen?

Ich komme auf meine Worte von vorhin zurück. Die Politik orientiert sich heute an zwei Leitmotiven: «Es muss etwas unternommen werden» und «So kann das nicht weitergehen». Die Politiker stützen sich auf Umfragen, die zeigen, dass dies grösstenteils dem Wunsch der Bevölkerung entspricht und dass sie dank diesem Vorgehen die besten Aussichten auf ihre Wiederwahl erhalten. Es ist aber auch möglich, und das hoffe ich, dass diese Umfragen, deren Ergebnisse alle in dieselbe Richtung weisen, falsch sind. Es sind Neuwahlen geplant, deren Resultate grosse Bedeutung haben werden. Entweder sie verstärken noch dieses Suchen nach einfachen Lösungen, oder aber sie lehnen dies ab. Dies würde bedeuten, dass die Ausweisung von Juden aus Gusch Katif, bei der die israelische Regierung der Tradition der europäischen Regierungen gefolgt ist, die schon seit Jahrhunderten Juden aus ihren Heimen vertreiben, von der Bevölkerung als schwer wiegender Fehler angesehen wird und dass sie diesen Weg nicht weiter verfolgen möchte. Sehen Sie, es gibt Etappen in der Geschichte einer Nation, in denen völlig irrationale Entscheidungen getroffen werden, aus denen man aber plötzlich aufwacht und sich an den Kopf greift: «Wir konnten wir nur so handeln?». Dann aber ist es zu spät. Heute leben wir in einer solchen Phase der Irrationalität, und ich hoffe, dass wir bald daraus erwachen werden.

Wie sehen Sie unter diesen Umständen die Zukunft?

Ich bin insgesamt nicht sehr optimistisch, meiner Ansicht nach sieht die Lage sogar ziemlich schlecht aus. Wenn nun aber die Politiker, die sich für simple Lösungen aussprechen, gewählt werden und dies auch noch mit einer grossen Mehrheit, wissen sie, dass sie mit der rückhaltlosen Unterstützung der meisten Bürger handeln. Für die Zukunft des Landes wird sich dies katastrophal auswirken.

Wie viele Juden müssen noch bei Terroranschlägen sterben, damit eine Wende eintritt?

Ich fürchte, da kann man nicht viel machen. Ich kann mir aber vorstellen, dass viele Menschen dann das Land verlassen werden.

Wohin sollen sie denn gehen angesichts des steigenden Antisemitismus überall auf der Welt?

Wir stehen kurz vor Pessach, und am Sederabend rezitieren wir jedes Jahr aus der Haggadah den Text «We-hi Scheamdah», der bedeutet: «Dies hat unseren Vätern und uns Kraft gegeben. Denn es hat sich nicht nur ein einziger Feind gegen uns erhoben, um uns auszulöschen: in jeder Generation versucht man uns auszulöschen, doch der Allmächtige beschützt uns und rettet uns aus ihrer Hand». Alle fragen sich, was das Wort «dies» bedeutet und worauf es sich bezieht. Es gibt zahlreiche Erklärungen, doch ich glaube, dass die eigentliche Antwort auf diese Frage in den folgenden Zeilen des Textes zu finden ist, wo es heisst: «nicht nur ein einziger Feind usw.». In anderen Worten, ist es die Bedrohung der Zerstörung die uns retten wird. Ich denke, dass unser Überleben in gewisser Weise einerseits von der Verstärkung unserer Verbundenheit mit den jüdischen Traditionen abhängt und andererseits vom Geist des zitierten Textes. Ich hoffe, dass das Pessach-Fest, das wir dieses Jahr feiern werden, uns die Möglichkeit offenbart, eine neue Quelle des Muts zu finden, und dass wir an der Schwelle zu einer positiven Entwicklung für Israel und das jüdische Volk stehen. Ja, ich bin voller Hoffnung, doch leider stimmt die Realität nicht sehr zuversichtlich. Meiner Ansicht nach können wir nur dann erfolgreich sein, wenn wir mit dem Beispiel vorangehen. Ich tue dies, indem ich als frommer Jude lebe und meine Arbeit meinen Fähigkeiten entsprechend so gut wie möglich erledige. und dies seit 75 Jahren.

Trotz seiner etwas pessimistischen Erklärungen strahlt Professor Aumann lächelnden Optimismus aus. Die Verleihung des Nobelpreises stellt zweifellos eine Quelle des Ansporns für uns alle dar. Vergessen wir nicht, dass wir an diesem Abend des 10. Dezembers 2005 nach Ablauf des Schabbats, als Professor Robert J. Aumann mit seiner weissen Kippah den Nobelpreis entgegennahm, einen dieser allzu seltenen und kurzen Momente des tiefen jüdischen Stolzes erleben durften. In diesem Augenblick ging für den Professor auf wunderbare Weise sein Traum in Erfüllung: «als frommer Jude leben, der seine Arbeit auf bestmögliche Art erledigt».


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